Jahresende am Anfang

Die Welt ausgeblendet. Stehe ich da im Halbdunkel des Vollmonds mitten auf einem Feld an einer Landstraße. Unweit von meinem Zuhause entfernt, doch gerade erst für mich entdeckt. Kahle Bäume festgewurzelt im Schatten von riesigen Strommasten, durchleutet von ein paar wenigen vorbeifahrenden Autos. Ich habe Kopfhörer auf, höre Musik, die tief in meine Seele dringt. Lasse mich von ihr leiten, die Gefühle im Einklag mit der Symphonie meiner Lieblingslieder. Die Kamera habe ich mitgenommen, doch die Wolken verbergen eine klare Sicht auf das strahlende Objekt am Himmel. Schaue wieder auf den Boden, der Himmel ist zu weit entfernt. Der Fokus sollte greifbar sein.

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Das Jahr ist zu Ende, aber ich stehe hier wie zu Beginn. Fragen schießen durch meinen Kopf, nach dem, was passiert ist, nach dem, was passieren wird. Vor allem, was passieren soll. Also, Jim, was soll passieren?

Ich traue mir da keine Antwort zu. Aus Angst, sie würde mich unglücklich machen. In Momenten, in denen ich lethargisch in der Bahn sitze, die kalte Fensterscheibe mit dem vorbeirauschenden Leben als besten Freund. Aber auch jetzt, wo meine Beine schwerfällig auf unebenem Untergrund Halt suchen. Ich denke nach. Meine größte Stärke, in Momenten wie diesen, wo ich alles ausblende. Nur die Langzeitbelichtung meiner Kamera fängt Bewegung im Strudel des Stillstands ein. Nur ich bin hier, mit meinen Gedanken, mit meiner Kamera.

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Was habe ich nicht alles im letzten Jahr erlebt. Instinktiv habe ich gehandelt, ohne mir den Kopf zu zerbrechen, das was-wäre-wenn außer Acht gelassen. Mit operiertem Arm nach Norwegen. Ich muss jetzt noch grinsen, das war einfach unfassbar. Noch unglaublicher war die Geschichte mit dem Mädchen, das ich dort kennen lernte. Surreal wirkt das Ganze, beinahe so als hätte ich es nicht erlebt, die Erinnerung rennt mir davon, und das, obwohl ich alles aufgeschrieben und auf unzerstörbaren Bildern festgehalten habe. War ich das?

War ich das, der aus dem Moment heraus nach London geflogen ist? Alleine, ohne Ziel, ich war halt noch nie da. Ich denke, das hat man in meinen Beiträgen gemerkt. Highway to Heaven. Das werde ich noch meinen Kindern erzählen. Ja. Das war ich.

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2015. Ja, ich habe auch gelebt, und nicht nur nachgedacht. Bewusst gelebt, mit vollem Gefühl die coolsten Sachen erlebt, so intensiv, dass glückdurchtriebene Gänsehaut ein treuer Begleiter meiner Beschaffenheit war. Konzerte von ALT-J, Odesza, Fritz Kalkbrenner & Oh Wonder, Festivals auf denen ich war, das Parookaville & auf dem Hurricane, ich war in Berlin und Frankfurt und Hamburg, mit Freunden, die zu mir stehen und auf die ich mich verlassen kann, Freunde, die mich aber nicht immer verstehen. Ich habe mir meine ersten Tattoos stechen lassen und kann die nächsten Termine kaum erwarten. Die Haare waren kurzzeitig so hellblond, dass ich mit Spitznamen wie Draco Malfoy, Scooter und Farin Urlaub leben musste. Und die Reisen natürlich, nach Norwegen, nach London, auch nach Spanien, wovon ich nicht berichtet hatte.

Und nur einen Monat nach dem unglaublichsten Erlebnis meines noch jungens Lebens, in Norwegen, breche ich mir wieder den Arm. Zum verdammt dritten Mal in nur anderthalb Jahren, und mit jedem Mal wird es schlimmer, mein linker Arm, der besteht quasi nur aus Metall, es dauert Monate, bis der wieder fit ist. Ich zweifelte. Was soll mir das sagen? Verbringe eine Woche im Krankenhaus, auf dem Balkon, überblicke die Stadt und sehe nur Verzweiflung, in allen Gesichtern und riesige Lügen, die die Menschen jeden Tag begleiten. Entwürfe enstehen, die ich nicht veröffentliche.

Menschen auf 3 Quadratmeter Balkonen, die sich für ihr Alter eine schönere Wohnung vorgestellt haben. Ist doch gelogen. Autos, die scheinbar ziellos auf den Straßen umherirren. Wo geht’s hin? Sie wissen es nicht. Ein ausgesuchter Wegpunkt, der eh nur eine weitere Enttäuschung ist. Ich sehe die Sonne, wie sie einem vorgaukelt, heute wird ein guter Tag. Aber am Ende des Tages sitzt man da und hofft, dass die Sonne dich am nächsten Tag nicht wieder verarscht.

Aber so ist das halt. Höhen und Tiefen wechseln sich teils unerträglich schnell ab, mein Opa verstirbt, meine kleine Nichte spricht ihr erstes Wort. Ein Wunder blieb verwehrt, die Existenz eines anderen Wunders ganz klar vor Augen. Menschen gehen damit unterschiedlich um. Die einen haben eine harte Schale, die anderen weniger. Mein bester Freund, er sagt immer, hey, ich komme damit klar. Ich sage das auch, aber ich meine das nicht so.

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Hier stehe ich also. Der Vollmond versteckt sich hinter den Wolken, vielleicht wird er sich im nächsten Jahr voll zu erkennen geben. Träume und Wünsche, sie existieren, irgendwo. Der Blick muss nach vorne gerichtet sein, aber nicht zu weit in die Ferne, sonst vergisst man die Aufgaben zu bewältigen, die mit jedem neuen Tag auf dich warten. Aber noch viel wichtiger ist, jeden neuen Tag bewusst zu leben, auszunutzen und ja, glücklich zu sein, zu grinsen, andere Leute mit der unfassbar guten Laune anzustecken, auch wenn man Minuten vorher noch mit einer verkniffenen Träne in den Tiefen seiner Gedanken war. Alles ist möglich.

Ich wünsche euch ein wundervolles Jahr 2016, bedanke mich für all die Leser und all die Kommentare, die mir das Bloggen in diesem Jahr zu einem echten Teil meines Lebens gemacht haben und hoffe, dass ihr auch weiterhin dabei seid, auf meiner Suche nach dem grenzenlosen Glück.

Jim Kopf

 

 

21 Kommentare

  1. WOW! Was für ein unglaublicher Text! So wundervoll. Ich liebe ihn. Und auch die Fotos sind unglaublich, welche deinen Text so würdevoll unterstreichen. Schreib bitte immer weiter für uns und hör nicht damit auf. Ich wünsche dir einen zauberhaften Rutsch ins Neue Jahr! Aber lass deine Körperteile heile, die brauchst du alle noch. Draco Malfoy also? Ein sympathischer und sehr gut aussehender Mann. In meinen Augen ein sehr treffender Vergleich. 🙂 Bis bald mal wieder. Herzlichst Netti.

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    1. Oh Netti, ich bin wieder einmal sehr entzückt und begeistert von deinen lieben Worten, du weißt, damit zauberst du mir ein fettes Grinsen auf’s Gesicht, ich danke dir dafür 🙂 Ich werde definitiv weiterschreiben, und du bitte auch, denn du schreibst so ehrlich und wunderbar, dass ich auch bei dir jeden einzelnen Beitrag mit viel Gefühl lese!
      Schön dass du mit Draco nichts negatives verbindest, dann kann ich mich ja sogar fast über den Spitznamen freuen haha 🙂
      Ich wünsche dir auch einen ganz tollen Rutsch ins neue Jahr und nochmals, Danke!
      Liebe Grüße,
      Jim

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    1. Das wollte ich auch erreichen, schön dass es geklappt hat und ich dir dazu ein interessantes Bild in deine Gedanken zaubern konnte 🙂
      Dieses Vorhaben ist auf jeden Fall erstrebenswert, das wünsche ich dir auch!
      Liebe Grüße und danke für deinen lieben Kommentar,
      Jim

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    1. Danke dir, ja, du magst recht haben, vielleicht ist es die Suche selbst, so wie Chris das auch weiter ausführt 🙂 Vielen Dank, ich freue mich dass meine Bilder gut ankommen!
      Wünsche dir einen guten Rutsch ins neue Jahr und liebe Grüße,
      Jim

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  2. Ich habe ja auch weiterhin den Verdacht, dass die Suche selbst das Glück ist. Es gibt kein Glück, das am Ende der Suche auf uns wartet. Das was wir tun, um das vermeintliche Glück zu finden, ist es, was uns glücklich macht oder zumindest einiges dazu beitragen kann.
    Und ich kann mich nur anschließen: großartige Fotos!

    Auch dir einen guten Start in ein wundervolles neues Jahr, das dich hoffentlich einen (großen) Schritt näher an dein Glück heranbringt und uns wieder mit vielen weiteren, deiner hervorragenden Beiträge an deiner Suche teilhaben lässt!

    LG Chris

    PS: Das wollte ich dich nach deinen Norwegen-Fotos schon fragen. Verrätst du deine Kamera-Objektiv-Stativ-Kombination? Ich mag diese Bilder, die vom „Sonnenschein“-Standard abweichen, sehr, scheitere bislang aber stets daran, sie selbst so gut hinzubekommen 😀

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    1. Das ist in der Tat ein wirklich toller Gedanke, dass es nicht erstrebenswert sein sollte, das Ende der Suche herbeizusehnen, sondern die Suche selbst als Erfüllung des Glücklichseins zu sehen, zu fühlen und zu erleben. Man wird sehen, wie sich das entwickeln wird 🙂
      Dankeschön! Ich habe eine Canon 70D mit einem 18-135mm Objektiv, dazu ein gewöhnliches, aber robustes Stativ, dass auch bei viel Wind fest steht (vor allem in Norwegen ist das wichtig ;), denn bei Langzeitbelichtungen ist jeder minimale Wackler ganz schlecht für das Bild. Die Bilder entstehen bei einer Langzeitbelichtung von 15-25 Sekunden, den ISO-Wert ganz runterschrauben, eventuell die Blende etwas schließen, damit das Bild nicht zu hell wird, selbst bei Dunkelheit und nur wenigen Lichtquellen. Hoffe ich konnte dir damit weiterhelfen 🙂
      Danke dir, ich wünsche dir auch dass 2016 dich auch bei deiner Suche weiterhelfen wird, denn es stehen große Dinge an, die dich hoffentlich erfüllen & deinen Kopf klar machen 🙂
      LG Jim

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      1. Danke! Also dann steht mir die Technik schonmal nicht im Weg. Ich hatte sowieso schon befürchtet, dass es eher an mir liegt 😀 Aber in ein anständiges Stativ werde ich nochmal investieren. Und dann heißt es ausprobieren und üben, damit ich in Norwegen auch vernünftige Fotos hinbekomme. Wobei, im Notfall hätte ich immer noch die Mitternachtssonne auf meiner Seite, sofern die Wolkendecke nicht zu dick ist. 🙂
        Ja, ich bin wirklich gespannt, was das neue Jahr bringt. Auch wenn ich mir diesmal nicht viel vorgenommen habe, diese eine Sache ist dick und fett im Kalender eingetragen. Den Rest lasse ich einfach auf mich zukommen.

        LG
        Chris

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      2. Ach, bei der Landschaft dort kannst du eigentlich gar nichts falsch machen 🙂 Da machst du das auf jeden Fall so wie ich, und ich denke, so wird sich auch das Beste ergeben 🙂

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  3. Auf das dein Jahr 2016 mit weiterer Abenteuer, Reisen und Erfahrungen gefüllt ist, die von Menschen begleitet sind die dein Herz berühren und mit deiner Seele tanzen.
    Und auf das du keine weiteren Knochenbrüche verkraften musst, sondern alles seine Zeit zum heilen bekommt.

    Ich freue mich darauf dich weiter über deinen Blog stückweise begleiten zu können.

    Liebe Grüße und einen guten Rutsch ins neue Jahr! 🙂

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    1. Dankeschön Linda für deine lieben Worte, ich wünsche dir euch ein wunderbares Jahr 2016 und einen guten Rutsch! Auf das auch dein nächstes Jahr so unfassbar aufregend wird wie 2015, ich habe mich gerade durch deinen Beitrag gelesen und der ist fantastisch, weil du so selbstsicher und glücklich diese Sachen herausschreibst, die du gefühlt hast, die du erlebt hast und die dich begleitet haben, einfach toll!
      Ich bleibe auch bei dir auf deinem Abenteuer weiterhin dabei 🙂
      Liebe Grüße,
      Jim

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    1. Haha Danke Markus, du warst so ein cooler und teuer Begleiter auf meinem Blog dass ich hoffe dass du auch nächstes Jahr am Start bist 🙂 ich wünsche dir einen richtig geilen Jahreswechsel und auf das bei uns beiden alles in Erfüllung geht was wir uns insgeheim erhoffen 🙂

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  4. Also ich war ja nun schon ewig nicht mehr auf deinem Blog. Hab den Post hier gelesen und festgestellt, dass es wohl doch ein Fehler war. Du schreibst einfach zu gut… 😏 Die Norwegen-Reise hab ich noch verfolgt und danach ging’s berab. Btw schickes neues Design! Wie lange du das auch immer schon haben magst. Auch dir wünsche ich ein grandioses neues Jahr mit vielen spannenden Geschichten 😊

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    1. Hey Julia, du mit dem schönen Lächeln 🙂 Vielen Dank, freue mich sehr dass du mal wieder vorbei geschaut hast! Wird auch Zeit dass du wieder öfters Beiträge postest 😉 Danke, das wünsche ich dir, mit ganz vielen tollen neuen Entdeckungen und vielen Bildern und einem breiten Grinsen 🙂

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