Unergründlich

Ich laufe in meiner Wohnung auf und ab, den Kopf gesenkt, die Augen auf den beigebraunen Parkettboden gerichtet, äußerlich wie innerlich in einer bedeutungsschweren wie schwer zu fassenden Tiefe versunken, immer zurück zur Ausgangsposition, aus der ich eben kam, gleichwohl in die Gegenrichtung meines Herzens. Wie unterschiedlich aufgeladene Pole stoßen sich die Orte im Raum einander ab, die festgetretene Stelle meines rechten Fußes, der stets die Richtung bestimmt und von Zeit zu Zeit, in immer dergleichen Intervallen, stehen bleibt, vibriert in einer Leere, die mich zum Umkehren zwingt, fast fern der Erinnerung an die Richtung, aus der ich doch zuvor schon kam und nichts vorgefunden habe. Die Kontinuität, mit der ich die zwei Ecken des Raumes – ungeachtet der viereckigen, sich im Wahn der Gedankenmasse in ihrer Form aufgelösten geometrischen Anordnung – aufsuche, wird nur selten von dem scheinbar plötzlich, wie bei dem Phänomen des Gedankenblitzes, der sich im Nachgang der Überlegung als unsinnig herausstellt, erscheinendem Zustand des eingebungsauf- und wieder -abfallendem Stehenbleibens in der Mitte der Laufbahn unterbrochen, die ich schon den ganzen Nachmittag ohne Ansatz eines sich bald herauskristallisierenden Ergebnisses ablaufe, während es draußen so stark regnet, dass ich den Ton des Aufpralls eines Regentropfens auf der Schräge meiner Fensterscheibe vergesse, völlig versunken in der Gewohnheit, die sich mal langsam, mal schneller einstellt wie das erst überlaute dann überhörte Ticken einer Wanduhr, des Tonspiels des vom Himmel stürzenden Wassers auf das schützende Dach über meinem Kopf. Manchmal auch vergesse ich in diesen Augenblicken, in denen ich von nicht zu benennenden Dingen ergriffen und entleert und von der Stimmung des Unwissens erfüllt bin, dass es dieses Dach gibt, noch über der weiß gestrichenen Decke und dem künstlichen wie kunstvollen Duft der Farbe, so intensiv wie man diese kurz nach dem Einzug in die neue Wohnung noch wahrnimmt, und gerate in die Panik des Bodenlosen, weil mir das Bewusstsein für den Schutz eines Daches fehlt, ein Auslöser, der existiert, weil etwas anderes nicht existiert, zu dem ich vordringen und ihn als Grund für die ziellosen Gedanken identifizieren zu versuche, jedoch ohne Erfolg; das über mir Fehlende zieht mich nach unten, in die Gegenrichtung meines Verstandes.

Als sich die Wolken lichten und den Blick hinter sie ermöglichen, wo das Blau des Himmels noch graue Tupfer des halbüberstandenen Unwetters in sich trägt, lasse ich mich auf den Boden fallen, der mich entweder warm und sanft mit dem großflächig, aber abseits des stundenlang wieder und wieder abgelaufenen Weges, ausgebreiteten Teppich empfängt, oder kalt und hart; wie hoch stehen die Chancen, was kann ich riskieren, was verliere ich, was gewinne ich, denke ich in dem zeitdehnenden Moment des Fallens, den Blick nahezu kopfschüttelnd zu beiden Seiten schwenkend, dort die bunten Fransen des Teppichs, hier das nackte Parkett, auf dem ich lief, auf dem ich laufen konnte, woher weiß ich, ob auch der Teppich begehbar ist und ich nicht einfach in ihm versinken werde?

16 Kommentare

  1. Öha. Das ging grad ziemlich ins Herz. Den Zustand kenn ich ebenfalls ziemlich gut… Du hast mich an eine Nacht im Frühling vor über einem Jahr erinnert… ich konnte wiedermal nicht schlafen, draußen hat der Sturm getobt und Musik hat auch nicht geholfen… also bin ich irgendwann aufgestanden und wie ein rastloses Huhn in meiner Wohnung auf und ab gegangen. Vom Vorzimmer ins Wohnzimmer und wieder zurück. Immer wieder und wieder. Hab mich auf die Couch plumpsen lassen um kurz danach wieder aufzustehen und weiter zu gehen. Irgendwann gegen vier Uhr morgens bin ich dann endlich ins Bett gefallen und zwei Stunden später, völlig fertig wieder aufgestanden. Die Pflicht hat gerufen. Ein paar Wochen später hab ich dann eine Entscheidung getroffen, die mein Leben grundlegend verändert hat…

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      1. ich hatte auch gekündigt und meine Auszeit nutze ich um an mir zu arbeiten …fühlt sich so viel besser an 🙂 …in den Bergen..wie schön für dich…da fühle ich mich auch immer total wohl!!!

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    1. meinst du, du hast diese Entscheidung in dieser Nacht getroffen? Vielleicht unbewusst? Oder dass diese Entscheidung gerade dadurch entstanden ist, dass dir bewusst geworden ist, wie sehr du dich damit beschäftigst?
      Ich habe echt Respekt vor deiner Entscheidung!
      Fühl dich umarmt, und ich wünsche dir eine gute Nacht Nina!

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      1. Danke Jim! 🙂 Die Entscheidung das gewohnte Umfeld zu verlassen hat zwar das größte Chaos in meinem Leben bewirkt, aber es war rückblickend betrachtet trotzdem die richtige Entscheidung (nicht nur weil ich ein ganzes Buch darüber schreiben könnte, was seitdem alles passiert ist).
        Ehrlich gesagt weiß nicht mehr ob ich die Entscheidung damals in der einen speziellen Nacht getroffen habe. Das Thema Arbeit war damals über Monate schon sehr präsent… lange Geschichte… Die Nacht war aber sicher ein wesentlicher Teil davon.
        Fühl dich mal zurückumarmt 🙂

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  2. Sehr bewegend… Und bekannt. Wie so oft, der Spruch wird langsam langweilig, aber es scheint als wärst Du oft mit den richtigen Worten zur richtigen Zeit da… Insgesamt wieder ein Beitrag der düster daherkommt. Aber genauso intensiv und voller Tiefgang! Wie so oft… 😉

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    1. Mich bewegt das immer wieder, wenn ich etwas niederschreibe, dass auch dir nahegeht. Somit stelle ich mir, dass der Text in unmittelbarer Nähe zu deinen Gedanken entstanden ist..
      Ich hoffe, dass düstere bald wieder abschütteln zu können, aber so ist es nunmal in meinem Kopf, ein ständiges Auf und Ab.
      Danke!

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