Dunkel und fast Nacht

Es ist dunkel und fast Nacht. Hochhäuser mit Lichter rauschen an mir vorbei. Der Zug trägt mich zum heimischen Bahnhof. Ich bin betrunken, mein Kopf lehnt an der Scheibe. Sie ist kalt, nicht so kalt wie draußen, aber kalt genug, damit die Haut an ihr friert. Ziehe den Kopf zurück, setze die Kopfhörer auf, ein neuer Song, ein neues Gefühl. Der Augenblick versetzt mich in eine Stimmung, die nichts hinterfragt, nur hinnimmt. Junger Mann fährt Bahn. Er lernt, arbeitet, spielt Fußball. Schreibt, liest, er trinkt, und er liebt. Dinge, die das Leben ausmachen. Wäre in seinem Kopf alles ein wenig klarer, stünde dort ein Fragezeichen: Wo fahre ich hin? Ein mich seit zwei Jahren einnehmender Selbstzweifel. Wie ausradiert, jetzt, wo schemenhaft aufzuckende Lichter wie Glühwürmchen am Zug vorbeigleiten, elegant, anmutig, sich selbst in wenigen Sekunden auslöschend. Zu viel getrunken, zu wenig ich selbst gewesen. Ziel erreicht. Nächstes Ziel in Sicht; gleich bin ich da, ich werde das Auto nehmen. Oder besser nicht? Habs doch versprochen, nie wieder. Sturkopf an einer kalten Zugscheibe, drei Grad reißen kleine Blitze in das doppelbeschichtete Glas. Wie hässlich die Welt sein könnte, wäre es hell. Wie schön sie ist, von nichts als Dunkelheit eingeschlossen, umhüllt, erfüllt, in Gedanken und dort, wo jeder sich selbst nur die Frage nach dem nächsten Schritt stellt. Was aber ist der übernächste Schritt? Denke nicht an morgen, konzentriere mich auf die Musik und die unscharfen Lichtquellen der Nacht, mal weiß, mal gelb. Immer blendend. Wären auch sie weg, gäbe es die Stadt dann noch? Niemand könnte sie mehr sehen. Ich würde in ihr untergehen. Licht an, da bin ich wieder. Nur ein kurzes Problem, die Energie war knapp. Wenn meine Energie knapp ist, muss ich trotzdem funktionieren. Unfair ist nur das, was ich als unfair empfinde, und empfinde ich etwas als unfair, ändert es sich nicht. Also wozu Unfaire empfinden. Besser eine faire Welt empfinden, die so ist, wie sie im übernächsten Schritt sein wird. Gut. Eine gute Welt. Auch am Tage.

9 Kommentare

    1. Danke dir! Irgendwie ist die Bahnfahrt bei mir schon als Zufluchtsort für solche Gedanken geworden… und auch wenn dieser Beitrag komplett in der Bahn entstanden ist, so entstehen meist nur Fragmente, die ich dann (ehrlich gesagt meist – in einem Moment der Unbeobachtung – auf der Arbeit dann) sofort ausformulieren muss 🙂
      Meine Playlist schicke ich dir, 400 unglaubliche Lieder zum Drehen eines Gedankenfilms 🙂

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