Wenn ich lese

Wenn ich Knausgård lese, und das tue ich mal wieder, das mittlerweile sechste Buch, eine Ansammlung von Essays, die es vermutlich nicht in die autobiografische Hauptgeschichte geschafft haben und gerade deshalb wie etwas Eigenständiges von seiner durchdringenden Auffassung der Welt handeln, dann überkommt mich ein Gefühl, das alle anderen Gefühle überschattet, schlichtweg weil es ein Grundgefühl ist, das der Selbstverwirklichung. Das Lesen seiner Zeilen ruft in mir eine gewisse Lebensaufgabe hervor, einem Instinkt ähnlich, der aus der Tiefe meiner inneren Mitte verwirklicht werden will. Die Beständigkeit, die Intensität, mit der ich von diesem Gefühl erfüllt bin, erreicht Augenblicke, die nur aus dem Bewusstsein für dieses Gefühl bestehen, aus nichts weiterem, da ist kein Zug, in dem ich sitze, da ist keine Sonne, die in blitzenden Formen am Fenster vorbeirauscht, da ist kein Pendler, der mit sich selbst oder mit dem Beobachten anderer beschäftigt ist. Nur das Grundgefühl lebt in diesem mächtigen Moment, es hebelt mich aus der Situation und platziert mich in einen Traum, in dem ich schreibe und auf dem Weg der Vollendung meiner Selbstverwirklichung bin; zwar sind alle meine Sinne davon eingenommen, doch mein Körper reagiert darauf mit Zittern, mit Schwäche in den Beinen und der nahezu schwerelosen Betrachtung von sich selbst aus einem losgelösten Ort heraus – es gleicht einer Verbindung aus Leere und Glück. Ihr Zusammenspiel, zum einen weil es nicht der Wirklichkeit entspricht, zum anderen weil es der Wirklichkeit entsprechen soll, in einem so intensiven Maße, dass es sich fast schon verwirklicht anfühlt, ist ein aus der Realität geflohener Moment, für den ich mich mit jedem meiner unbewusst in Erscheinung tretenden Sinne bei den Worten Knausgårds bedanke.

11 Kommentare

  1. Ich zitiere deine Worte…. auf dem Weg zur Vollendung der Selbstverwirklichung …. . Dafür wünsche ich dir alles Glück und Gute. Es ist nicht immer einfach sich selbst zu verwirklichen, aber du kannst das schaffen, weil dein Wunsch fast übermächtig ist. Übrigens, zu meiner Schande gestehe ich, dass ich , obwohl ich so viel und täglich lese, diesen Schriftsteller bisher nicht kannte. Wofür Blogs doch gut sind, jetzt habe ich extra nachgelesen, wer er ist und welche Bücher er bisher geschrieben hat. Als ich in deinem Alter war, las ich unglaublich gerne H. Hesse: Steppenwolf, Siddharta, Narziß und Goldmund. Ob solche Schriftsteller und ihre Werke heute noch gefragt sind bei jungen Leuten? Heute lese ich mit Vorliebe Krimis und Thriller. Liebe Grüße, Sigrid

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    1. Vielen lieben Dank, Sigrid!
      Vielleicht liest du ja mal in eins seiner Werke, es ist sehr speziell, außergewöhnlich, inspirierend. Aber diese Meinung muss man nicht zwingend teilen 🙂
      In deine vorgeschlagenen Schriftsteller sollte ich auch mal reinlesen, wer weiß, vielleicht ist das ja auch was für mich 🙂
      Liebe Grüße und einen schönen Sonntag,
      Jim

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      1. Hallo Jim,
        Hermann Hesse war zu meiner Zeit ein MUSS. Er ist ja auch nicht grade ein Unbekannter, denn
        1946 wurde ihm der Nobelpreis für Literatur und 1954 der Orden Pour le mérite für Wissenschaften und Künste verliehen (Quelle: Wikipedia). In meiner Schulzeit war er Unterrichtsstoff……Ich könnte mir vorstellen, dass dir Siddhartha durchaus gefallen könnte.
        Liebe Wochenendgrüße, Sigrid

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  2. ‚…der aus der Tiefe meiner inneren Mitte verwirklicht werden will …‘

    Vielleicht ist das so, dass wir fühlen, wenn etwas aus unserer inneren Mitte entspringt, weil es sich so extrem anfühlt.
    Allerdings lässt sich auch wahnsinnig gut in Träumen von etwas vermeintlich Perfekten sehr gut die Realität umschiffen …
    Do it. Finds raus.
    Toller Text!! 😉

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  3. Ich bin so gegen Ende meines zweiten Buchs von Knausgard angelangt und kann voll und ganz bestätigen, was du schreibst!

    Absolut kein anderer Autor, den ich die letzten Jahre über las, kam mir so nah, hat mich so hautnah berührt, wie er…

    den aktuellen Essayband will ich lesen, bevor ich bei seiner phänomenalen Autobiografie mit dem dritten Band weitermache…

    Viele Grüße vom Lu

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    1. Oh verzeih mir dass ich erst jetzt deinen Kommentar entdecke. Ich kann dir auch nur voll und ganz zustimmen, es hat mich völlig eingenommen, erfüllt..
      ich empfehle dir aber, lies erst die Autobiografie zu Ende und dann den essayband, denn ich muss sagen, das Hauptwerk ist in seiner Gesamtheit um Längen besser als die einzelnen, für sich alleine stehenden Essays 🙂

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