Im Montagsregen

Zertretene Kippen liegen wie Sternbilder auf dem brüchigen Bahnhofsasphalt, hier aufgeplatzt und dunkelgrau bis schwarz im Inneren, dort nass und glänzend im Montagsregen. Wie eine weißgraue Fußmatte klopfen die Wolken ihren über der kalten Nacht aufgestauten Regenstaub auf die Menschen herab, die alle irgendwie anonym und blass erscheinen, ohne Gesicht, ohne Eigenschaften, nur Körper die zur Arbeit gefahren werden wollen. Halb überdacht klopft es auf den dünnen Metallplatten über ihnen, viele kleine Tropfen in so kurzen Abständen, dass es einem wie das Zittern erscheint, das den Körper vor einem Moment durchdringt, den man unbedingt will oder vor dem es einem graut. Ein Hauch von Wind stürmt auf und schüttelt die nassen Blätter, die fast unter der Regenschicht zusammenbrechen, eine Frage der Zeit und der kühle Duft, dieser angenehme Spätwinterduft, stirbt mit dem Ende eines Winters, den es nicht gab, vielleicht morgen oder übermorgen, vielleicht in ein oder zwei Wochen. Aber die Menschen, sie sehen so trübe aus und kraftlos und stehen einander vollkommen gleichgültig und desinteressiert gegenüber, wartend, auf die Bahn, die kurz nach der kratzigen Ansage wie ein fremdes Wesen im diesigen Schauernebel in der Ferne zwischen den tunnelartigen Birken und Fichten und Lärchen heranschleicht.

Wenn ich nur wüsste, was sie wollen, also wirklich wollen und nicht nur hinnehmen, was sie einmal wollten, dann würde es mir doch klar werden, was ich eigentlich will, hier am Bahnhof, mit müden Augen und Schlafsand im inneren Lidwinkel, mit der schwer glühenden Kippe zwischen den Fingerknöcheln, mit den tonabtöndenden Kopfhörern auf den Ohrmuscheln, die von der Trivialität singen, die mich umgibt und ja, die Menschen stehen hier und wollen zur Arbeit, das ist klar und ersichtlich, aber ich kann es trotzdem nicht fassen, nicht greifen und damit auch nicht verstehen, womöglich aus einem der schwerwiegendsten Gründe, dass ich das doch gar nicht will, dass ich doch gar nicht einer von ihnen sein möchte, einer von den Gleichgültigen und Akzeptierenden, nein, ich möchte nicht akzeptieren und hinnehmen und unterordnen. Wie das aber immer so ist, fehlt die Alternative und der ganze Kram, der berücksichtigt werden muss und der alle Träume und Wünsche in der gedanklichen Müllpresse plättet wie die Kippe auf dem nassgrauen Asphalt.

21 Kommentare

  1. Du schaffst es immer wieder selbst so trostlose Momente und Situationen so zu beschreiben, dass es richtig Spaß macht sie zu lesen. Ich kann mich da zwar mit meinem Lob leider nicht so gut ausdrücken wie du das immer machst, aber auf jeden Fall wieder sehr schön geschrieben! 🙂

    Gefällt 3 Personen

  2. Kann ich mir gut bei einem Poetry Slam vorstellen, lässt sich durch die vielen Kommata prima flüssig lesen und die Bilder sind prächtig und die Sinneseindrücke, die Du bündelst machen atemlos beim Lesen. Coole Schreiberei. Komme wieder.

    Gefällt 2 Personen

    1. Sehr cool dass du das sagst, dankeschön!, habe schon oft über Poetry Slam nachgedacht, ist etwas, das ich definitiv mal machen möchte.
      Freut mich dass du den Weg zu meinem Blog gefunden hast & nochmals Danke! 🙂

      Like

    1. Da geht es dir wie mir, ich kann eine fröhliche Stimmung/gute Laune nicht mit Texten wie diesen vereinbaren, deshalb wechselt das bei mir auch ziemlich häufig, aber das muss nichts schlechtes sein, irgendwie finde ich das gut dass ich die Stimmung so rüberbringen kann dass dir das Gleiche passiert.
      Danke!!

      Gefällt 1 Person

    1. Hey Lu, schön dass du mal wieder da bist, danke dir!
      So ist es, man muss immer weitermachen, so wie es möglich ist, was nicht immer so ist, wie man es sich wünscht.
      Liebe Grüße!

      Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..