„Kleine“ Unstimmigkeiten in Las Vegas | ein Roadtrip durch die USA

Die Geschichte muss weitergehen. Vielleicht hau ich die Tage noch einmal eine Bildergalerie raus von den unfassbar schönen Havasu Falls, aber nun muss ich erst einmal erzählen, wie es nach dem Gang ins Paradies weiterging. Vorerst: Mit dem Gang wieder zurück.

Am frühen Morgen des 26. Mai’s (ist das echt schon so lange her?) schlichen wir uns aus der Havasupai Lodge und traten den 16 Kilometer langen Marsch zurück zum Auto an, heraus aus dem Grand Canyon. Die drei Stunden Fußweg, durchgängig bergauf und mit einem 25 KG – Rucksack auf dem Rücken, fühlten sich gut an, ich hatte sichtlich Spaß an der Herausforderung. Aber Moment mal, wo war denn meine Freundin? Oh, da, Hallo Schatz, rufe ich und winke ihr wie ein hyperaktiver Triathlet zu. Letzte Etappe, rief ich noch einmal. Ha! Der Klassiker.

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Bis auf die letzten sechzig echt heftigen Minuten den großen Hang zum Parkplatz hoch hatte ich das Gefühl, dass der Rückweg schneller und einfacher verlief. Vielleicht hatte dies etwas mit Erfahrung zu tun, dem passiven Aufnehmen und Verarbeiten eines Erlebnisses, das auf dem Hinweg noch gänzlich neu für uns war, doch auf dem Rückweg ein Anzeichen von Souveränität widerspiegelte.

Der schnieke Chevrolet Malibu war unversehrt und glänzte im Staub der angrenzenden Steinformationen. Zeit, zum nächsten Abenteuer zu fahren. Nach Las Vegas. Aber nein, Vegas sollte nicht das Abenteuer sein, nur eine Zwischenstation, um von dort nach Denver zu fliegen, dem Ort des Red Rocks Amphitheaters, dort, wo wir uns auf ODEZSA und das wahrscheinlich beste Konzert unseres Lebens freuten. Nach der fünfeinhalbstündigen Wanderung fuhren wir sechseinhalb Stunden lang Richtung Vegas, um dort vom wüsten Feierabendverkehr oder völlig alltäglichem Verkehrschaos begrüßt zu werden. Über Booking.com hatten wir eine Nacht in einem privaten Anwesen gebucht etwas außerhalb der Stadt gebucht. Das zumindest dachten wir. Denn als wir ankamen und die Vermieterin eine halbe Stunde lang auf sich warten ließ und nach verzweifelten Anrufen doch noch im Auto mit dem Vater des gut acht Monate alten, durchgängig schreienden Babys vorgefahren kam, ahnten wir bereits, dass die frisch gebackene Kleinfamilie uns nur ein kleines Zimmer zur Verfügung stellen würde.

Die Vermieterin war eine gut anderthalb Meter große Chinesin mit deutlichen Lücken oder Kratern in ihren Englischkenntnissen. Dem Nichtverstehen aller von mir ausgehenden Worte brachte sie ein schrilles Lachen entgegen, als wäre sie selbst die Karikatur einer dieser chinesischen Statisten in Hollywoodfilmen, die alle gängigen Klischees bedienen müssen, darunter das Nichtsprechen und Nichtverstehen der englischen Sprache, dessen Nichtexistenz im Gegenüber Wut und Verzweiflung hervorruft. Um dem die Krone aufzusetzen, streckte sie mir ihr Handy und die chinesische Version des Google Übersetzers hin, um zu erfahren, was ich denn wolle. Einen Schlüssel wollte ich haben. Schließlich wollten wir noch raus, vielleicht auf den Strip, ein bisschen Glücksspiel, oder eine Party? Ich gab ihr das größte Smartphone, das ich je gesehen habe, wieder zurück. Ahh, sagte sie und lachte, ehe sie so konzentriert wie das Klischee eines asiatischen Höchstleistungswunderkindes ihre Antwort ins Smartphone tippte. Wozu?, stand da. Sie lachte erneut und tippte einen weiteren Satz in den Übersetzer. Wir wohnen doch hier.

Praktisch, dass ihr hier wohnt, dachte ich. Dann klingele ich euch um drei Uhr nachts besoffen aus dem Bett und spiel zur Beruhigung ne Runde Baseball mit dem winselnden Baby im Wohnzimmer.

Selbst wenn ich dies ausgesprochen hätte, Fräulein Nichtenglisch hätte es sowieso nicht verstanden und nur gelacht. Um 23 Uhr seid ihr spätestens wieder hier. Ei ei, Sir!

Ihr Lachen hatte etwas Herzerwärmendes, ihre Gastgeberqualitäten dagegen etwas zutiefst Antipathisches. In Gedanken schrieb ich schon die Booking-Rezension: Gastgeberin hat ein tolles Lächeln, aber keinen Schlüssel für uns. Kurz vor Einlass im angesagten Technoclub ist also Nachtruhe. Das Baby ist ein Wunderkind im Umgang mit dem Tablet, schreit aber vermutlich aus Unterforderung, weil sowieso alles in diesem Haus ein Klischee zu sein scheint. So auch bei dem Vater, der die Mentalität eines Shaolin-Kämpfers besaß, den ganzen Tag lang mit eiserner Präzision die Zucchinischeiben in der Küche durchtrennte und ebenso ruhig wie anmutig auch nach dreiminütigem Anstarren kein Gespräch zuließ. Hinweis: Bitte Chinesisch-Kurs vor der Anreise absolvieren.

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Da ich in Las Vegas nicht fotografiert habe, muss wohl ein Stock-Bild herhalten. Es soll auch lediglich mein Gefühl dort vermitteln, so schnell wie möglich wieder raus in die Natur zu kommen…

Auf dem überfüllten Vegasstrip fühlten wir uns noch unwohler. Noch vor einigen Stunden wanderten wir in der erfüllenden Einsamkeit des Grand Canyons umher und ergötzten uns an der puren Natur, und jetzt waren wir in einem Meer aus oberflächlichen Touristen und besoffenen Junggesellenabschieden gefangen. Auch die dreißig Euro für eine Portion Nudeln waren wir nicht bereit zu bezahlen, also fuhren wir zurück zum exklusiven Zimmer in der Chinesen-Mansion, aßen ein paar Weingummis und sickerten noch vor der Nachtruhe nach dem vermutlich anstrengendsten Tag meines Lebens in den wohlverdienten Schlaf.

Am nächsten Tag frühstückten wir im Angesicht der ausgelassenen Nudelportion am Vorabend für dreißig Euro Pancakes im wohl tollsten Restaurant der Welt, dem International House of Pancakes. Ich liebe Pancakes. Pancakes mit Blaubeeren, Banane, Karamell, Eis, Soße… Ich war im Himmel. Der Himmel verdunkelte sich aber leider erneut, als der Mietwagen einen dezent-deutlichen Verlust des Reifendrucks hinten links vermeldete. Im gleichen Atemzug fing die Motorleuchte an zu blinken. Hast du gespart?, flüsterte ich meiner Freundin zu. Nein, du? Nö.

Wir ließen den Reifen aufpumpen und fuhren schnurstracks zur Abgabe bei Sixt. Ist alles mit dem Wagen in Ordnung? Ja selbstverständlich! Und weg waren wir, im klappernden Holzflieger nach Denver…

18 Kommentare

  1. Hey Jim…demnächst gehts für meinen Schatz und mich auch in den Westen 😉 und ja auch Vegas und ja Vegas kann echt zu viel sein…euer Erlebnis brachte mich echt zum schmunzeln und ich freue mich auf die nächsten Zeilen 🙂

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  2. Ui, erst inmitten der Natur und dann mitten in Vegas. Respekt! Ich war ja schon nach einer Woche schwedischer Wildnis mit Göteborg vollkommen überfordert 😀
    Mietwagen sind eben eine Sache für sich. Der schöne Volvo, mit dem ich durch Schweden fuhr, hatte die tolle Fähigkeit, die Scheinwerfer automatisch einzustellen. Theroretisch zumindest (wo ist das verdammte Rädchen für die Scheinwerfereinstellung?), was in winterlich-dunklen schwedischen Wäldern für den ein oder anderen Blindflug sorgte. Dafür habe ich mich aber gerächt und einen Wagen in die Avis-Garage gestellt, der aussah, als hätte ich damit an einer Offroad-Schlamm-Rally teilgenommen 😀

    Ich freue mich auf jeden Fall auf die Fortsetzung deines Reiseberichts!

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    1. Dann kannst du mich ja perfekt verstehen! 🙂 Ohje, aber gut dass dann nichts passiert ist während deinen Blindflügen; trotzdem gute Reaktion danach 😀 Danke dir!

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