Kapitel 3: Die nervenaufreibende Bergbesteigung ins Glück! | Abenteuer Lofoten

[Lies hier das ganze Abenteuer nach.]

Du hast nix‘ zu essen, keene Regenhose, keene Gummistiefel, keenen Schal, keene warmen Handschuhe. Det is‘ schlecht wenn du diesen Berg dort hoch willst. 

Sagte er mir und machte mir geschmierte Brote und Obst und legte mir Regenhose, Gummistiefel und eine dicke Regenjacke ins Zimmer. Ich war bereit. Für die erste richtige Bergbesteigung meines Lebens. Hier in dem Dorf gibt’s 15 Einwohner. Hier is niemand. Die Norweger besteegen hier auch keene Berge. Sagen, det is‘ zu gefährlich. Ich wurde stutzig. Ich kenne mich hier nicht aus, ganz weit links oben in Norwegen, in dem „Stadt“-teil Nygard (ich kann deinen Namen nicht leiden, Nygard), wunderbar abgelegen von einem 211-Seelen Dorf namens Risøyhamn. Der Mann auf der Huskyfarm, Uwe, ebenfalls wie Katrin aus Hamburg stammend, versuchte mich auf mein Abenteuer vorzubereiten. Det is‘ zu gefährlich. Moment mal, wieso schlägst du mir dann diesen Berg vor? Die Aussicht. Ich bin dabei!

Die Uhrzeit zeigt mir einen Zeiger kurz vor 0:00 Uhr Mitternacht. Die Sonne ist noch da, irgendwo, hinter den dunkelblauen Wolken, die geradezu vor Potenz strotzen. Für einen kurzen Augenblick aber, jetzt, kurz nach 0:00 Uhr Mitternacht, schienen sie eine Pause von der Dauerbeschallung mit Regen und Wind zu machen. Das war mein Moment! Uwe brachte mich gute zwei Kilometer weit mit dem Auto, bis zu dem Punkt, an dem ich den Berg in Angriff nehmen konnte. Ich steige aus dem Auto und…

Regen. Echt jetzt? Als würden frische 5 Grad nicht ausreichen. Des hier is Moorgebiet. Pass‘ auf! Vor eenem Jahr bin ich in der Nähe eingesackt und konnte mich erst in allerletzter Sekunde… Uwe, erzähls‘ mir später! Er fuhr zurück und ich machte den ersten Schritt von der Straße auf in die Natur. Logischerweise auch den zweiten Schritt, und denn dritten und eingesackt. Kein Spaß, fast bis zu dem Knie! Ich wanke, halte mich und zieh‘ mein Bein wieder aus dem unscheinbar wirkendem Gras.

Fluss_Norwegen_Berg

Ich sollte vielleicht den Blick nach unten halten. Keine schlechte Idee, oder? Kann gut sein, dass Bergsteiger und Wanderer diese Taktik schon seit Jahrhunderten praktizieren, ich aber hab‘ diesen Geistesblitz gerade eben für mich entdeckt. Die nächsten gefühlten achthundert Meter im Moor waren DEZENT anstrengend. Ich musste mich ja noch in dem Pub betrinken. Doch, Jim, war wichtig dir, pi mal daumen, 37 Bier reinzuschaufeln, kurz bevor dein Abenteuer losgeht. Meine Oberschenkel sagen Danke, mit einem süffisanten Augenzwinkern.

Blick_moor

Wenigstens der Regen legte Verschnaufpausen ein, die ich mir auch erstmals gönnte, als der Anstieg begann. Viele Bäume hier. Aber das hier war kein Thüringer Wald mit 47 Millionen Tannen. Das ging voll in Ordnung. Dafür brauchte ich keinen Kompass. Ich hatte den Blick stets zur Straße und stets hatte ich den Gipfel im Blick.

bäume_anstieg_Berg

Schon die erste Verschnaufspause machte mir zwei Sachen klar:

1. Dem Sog der Natur ist nicht ganz einfach standzuhalten.

2. Ich fühle mich frei. Befreit. Mit Regen, dessen Tropfen meine Wangen zieren. Das waren keine Tränen.

Auch wenn es sich irgendwie seltsam anfühlte, ganz allein, irgendwo in Norwegen, jetzt in diesem Moment, auf diesem Berg, dessen Gipfel scheinbar noch endlos weit entfernt war. Es war schön. Ich zeigte kein Interesse an dem suboptimalen Wetter, an meinen beißenden Oberschenkeln, die sich am liebsten mit dem Moor verewigen wollten. Und kein Interesse, jetzt zurück zu gehen. Es lagen noch ein paar Meter vor mir.

Jim_Anstieg_00000

Der Anstieg wurde steiler. Was kurz zuvor noch nach einer relativ entspannten Wanderung aussah, wurde zum Härtetest für meine Beine. Dann ließ ich die Bäume hinter mir, so graziös sie auch die Landschaft verschönigten, der Abschied fiel mir im Hinblick auf eine vereinfachte Orientierung nicht ganz so schwer. Vor mir lag dann nur noch der pure Berg. Kein Strauch, kein Baum, kaum ein Stein in Sicht. Nur der Anstieg und ich. Das Wetter zeigte sich nun aber auch nicht mehr so entspannt. Windböen pfiffen mir um die diesmal durch meine Wollmütze mit Kanadaflagge geschützten Ohren. Meine Wetter-App würde nun sagen: 3 Grad. Gefühlt: -18. Und dann schien der Wettergott richtig launisch zu werden. Aus den Windböen wurden Schneeböen. Ganz ehrlich, mit Schnee hatte ich ja mal absolut gar nicht gerechnet. Abgesehen von den umliegenden Gipfeln schien der letzte Schnellfall schon eine Weile her zu sein. Und ich war ja noch nichtmal auf dem Gipfel. Aus der glücklichen Stimmung bei der ersten Verschnaufspause wurde eine ernste Bedrückung. Ich besteige das erste Mal einen Berg. Schnee prasselt auf mich herab bei Windgeschwindigkeiten um gefühlte 118 Km/h. Wie soll ich mich da verhalten? War das sicher, weiterzugehen? Kurz dachte ich an den Film „Nanga Parbat“ aus der Sicht von Reinhold Messner. Quatsch. Weiter gehts. Ich bin hier nicht im Himalaya. Trotzdem war mir nicht ganz wohl bei den nächsten Schritten die ich ein wenig gequält den Berg hinauf trug. So ganz allein, weit entfernt von allem, was sich Gewohnheit oder Zuhause nennt. Die einzige Gewohnheit waren meine 5€-H&M-Handschuhe. Ich verfluche diese Dinger bis heute. Beziehungsweise die Tatsache, dass ich sie als einzige Handwärmer mitgenommen habe. Meine Hände waren am absterben! Das waren keine Handschuhe. Das waren Modeaccesoires für den Hochsommer in Tunesien. So ein Scheiß, fluchte ich mehrmals. Ich lief mit weit zugezogener Jacke (an dieser Stelle einen unfassbar dankbaren Dank an Uwe, der mir die warme Regenjacke mitgegeben hat) und Kapuze über meine Mütze mit nur einem kleinen Sichtspalt weiter den Berg hinauf und dann, wie aus dem Nichts…

… kam meine Rettung. Eine altes Militärgebäude. Mit einem windgeschützten Eingang. Ich lief auf den Eingang zu wie ein verlorener Saharatourist auf eine Wasserquelle. Und legte mich hin.

Eingang_Militaerstation_Norwegen_Berg_00000

Völlig durchnässt musste ich dann erstmal meine Hände wieder aufwärmen und den allmählich abziehenden Schneesturm abwarten. Trank Wasser, aß die Brote und verließ gestärkt die kleine Bucht in meinem ersten Abenteuer wieder, um die letzten Meter zum Gipfel zu laufen.

Dann war es so weit. Über eine letzte Erhebung drüber und ich war angekommen. Auf dem Gipfel. Eines Berges. Das hört sich so unglaublich normal an, für mich war es in diesem Augenblick unglaublich unglaublich. Die Aussicht war wie versprochen der absolute Hammer. Ich war alleine. Das war ein gutes Gefühl. Ich war frei. Das war noch ein besseres Gefühl. Ich war ganz weit weg von all den Sorgen, von all dem Druck, von dem Großen und Ganzen, dass mich beinahe erdrückt hat. Das war das beste Gefühl.

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Ich atmete so tief ein wie es ging, holte richtig Luft, saubere Luft, Luft aus der Natur, wie extra für mich bereitgestellt. Gleichzeitig wurde mir aber auch klar, dass ich hier oben nicht lange bleiben kann. Meine Hände waren schon wieder gottverdammte „Handschuhe“ am erfrieren. Dabei noch ordentliche, unverwackelte Fotos zu machen glich einer Herkulesaufgabe. Wie soll man die Hände auch beim benutzen einer Spiegelreflexkamera warm halten?

lofoten_mountain_norway_view_00000

Die nächsten Sturmböen zogen auf und ich wusste, auch wenn es nur für eine gute halbe Stunde war, dass ich wieder zurück muss. Diese beschissenen Handsc… Ich hörte auf zu fluchen. Bringt ja nichts. Ich war zu glücklich gerade um mich in irgendeiner Form zu ärgern. Setze mich noch einen Augenblick hin, wärmte meine Hände in den Tiefen meiner vier Pullover und zwei Jacken und begann den Abstieg. Mit anderthalb Stunden ging das deutlich schneller als der Weg bergauf und bis auf den echt harten Wind gab es keine weiteren Komplikationen.

Mache einen Schritt, mache logischerweise noch einen zweiten Schritt und einen Dritten und stehe wieder auf festem Untergrund, auf der Straße. Gänsehaut überkommt mich. Ich habe einen Berg bestiegen. Ganz für mich alleine. Das war meine Herausforderung, mein erstes kleines Abenteuer auf dieser einwöchigen Reise raus aus der Komfortzone, raus aus dem Leben, von dem ich eine Auszeit brauchte. Und irgendwie war es wie eine kleine Erleuchtung. Ich kann alles schaffen. Dazu lichteten sich just in diesem Moment die Wolken und die Sonne zeigte sich, erstmals nach mehreren Stunden. Leuchtete direkt auf mich. Wenn das mal keinen symbolischen Charakter hatte.

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Ich lief die zwei Kilometer zurück zur Huskyfarm, duschte mich leise, es war ja mittlerweile tief in der Nacht, und warf mich mit einem fetten Grinsen ins Bett. Das war toll. Aber es wurde noch viel besser, denn der zweite Berg, den ich in Angriff nehmen wollte, der Berg, weshalb ich diese Reise angetreten bin, der mich verzaubert hat, dessen Aussicht so unglaublich wie surreal sein würde, wartete noch auf mich. Und dagegen war das hier ein lockerer Spaziergang…

12 Kommentare

  1. Mich packt gerade das Fernweh. Es schüttelt mich einmal durch und sagt mir (nein, es schreit mich an), ich solle doch endlich mal in den Flieger steigen. Ach ja…

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