Das Mädchen mit den mysteriösen Schuhen

Heute ist ein guter Tag. Ein wirklich toller Tag. Die Sonne scheint, ich bin vor meinem Wecker wachgeworden und war nicht mal müde. Also doch, aber nicht so schlimm wie sonst. Drehe die Musik auf und bekomme eine Portion Instant-Gute-Laune vor den Kopf geworfen. Meine Tür wird aufgerissen. „BIST DU VERRÜCKT?“ Total vergessen, dass meine Mutter um 6:05 Uhr morgens noch schläft. Ich lächele beschämt, da ich zum Zeitpunkt des Tür-aufreissens noch inmitten eines albernen Dance-Moves war, den ich normalerweise erst bei 1,8 Promille auspacke. „Sorry.

Meine überschwänglich gute Laune merkt man mir auch in der Straßenbahn, die ich nach dem Regionalexpress noch auf dem Weg zur Uni nehmen muss, an. Zwischen leichtem Wippen und instinktiven Phasen für Außenstehende unerklärlichem Grinsens sah ich aus wie ein glücklicher ADS-Leidtragender auf Ritalin-Entzug. Mein Blick schweift durch den Mittelgang. Die kämpfen auch um den am tiefsten stehenden Mundwinkel… Nur das Mädchen mir schräg gegenüber schien da eine Ausnahme zu machen. Fröhlich leicht und seltsam selbstbewusst saß sie da, mit langen blonden Haaren und zwei Zöpfen im Stile einer Pippi Langstrumpf, was sie relativ sympathisch und vor allem interessant machte, obwohl ich nie ein Fan ihres übertriebenen Selbstbewusstseins war. Den Blick hatte sie leicht nach unten geneigt, auf ihr Handy schauend, aber man konnte aus meinem Winkel eine süffisante Grundstimmung erkennen, die sie partout von den griesgrämigen Mittvierzigern neben ihr unterschied. Mein Blick wandert auffällig unauffällig ihrem Körper entlang. Ihr Dress ähnelte ein wenig diesen japanischen sich selbst nicht zu ernst nehmenden Schulmädchen, mit denen man an Karneval um die Wette trinkt. Sie aber trug es als wäre es das normalste Outfit dieser Welt. Wenn ich ehrlich bin, ich war ein wenig von ihr angetan. Auch wenn ich weiterhin nicht ihr volles Antlitz erkennen konnte, da ihr Smartphone scheinbar eine unfassbar interessante Geschichte zu erzählen schien. Wenn sie doch nur einmal hoch schauen würde… Da erblickte ich ihre Schuhe. Beziehungsweise ihren linken Schuh. Aus meiner Perspektive. Also rational nachgedacht, ihr rechter Schuh. Mit einem Wort, mittig auf der Oberfläche, in fettbedruckten roten Großbuchstaben: YOU. Wie konnte mir das entgangen sein? Immerhin war das kaum zu übersehen. Dafür war es zu präsent, zu ausgeprägt auf ihrem Schuh geklebt. Sah ein bisschen merkwürdig aus. So als wäre es erst nach dem Kauf auf die unscheinbar wirkenden Ballerinas mit einem handelsüblichen Klebstift angebracht worden. Es sah nicht wirklich gut aus, aber es weckte mein Interesse an das Wort auf dem anderen Schuh, den ich aus meinem Blickwinkel noch nicht erkennen konnte, da mein Knie im Weg war. Und aus irgendeinem Grund, ließ ich mir Zeit, mein Bein nur leicht zur Seite zu bewegen. Aber ich war mir sicher, auf dem anderen Schuh steht auch ein Wort. Oder zumindest ein Symbol. Das hätte sonst absolut keine Aussagekraft. Und ihre Aura vermied die Vorstellung einer nichtssagenden Ballerinaträgerin. Plötzlich hebt sie ihren Kopf. Mein Blick trifft sekundenschnell den ihren. Für den Bruchteil einer Sekunde versuchte ich eine Geschichte in ihren Ausdruck hineinzuinterpretieren. Ein wenig verschmitzt waren ihre Gesichtszüge, sehr freundlich, aber ihre Augenbrauen bewegten sich im Gegensatz zu meinen nicht im Geringsten, und ihre glasigen, leeren Augen ließen meine Interpretationsversuche gegen eine betonharte Wand fahren. Doch aber empfand ich eine minimale Ausprägung ihres um einen gefühlten Millimeter im Schneckentempo nach oben rasenden Mundwinkels, und das ließ die Meinen um ca. 300 Prozent steigen. Ich lächelte immer noch verträumt, aber sie war mit ihren Augen schon wieder im Smartphone vertieft. Als Durchschnittsjunge wird man an dieser Stelle von einem inneren Gefühl überfahren, das Mädchen ansprechen zu müssen, was man letztendlich aber nicht macht. Warum auch immer. Zu viele Menschen hier. Und in der Bahn doch nicht… Ich schaue wieder auf ihren Schuh. YOU. Es wurde Zeit, den anderen Schuh zu entdecken. YOU. Ich, was? Drehe mein Bein zur Seite, in kindlicher Aufregung, irgendwie war ich davon überzeugt, dass durch das zweite Wort meine Sicht ihrer Beschaffenheit bestätigt werden würde, ich brennte darauf es zu erfahren, was will sie mir und den Mitmenschen mitteilen, noch einen kleinen Zentimeter, und da war es, das zweite Wort, fett, in roten Großbuchstaben, und um es zusammenhängend zu lesen wandert mein Blick langsam vom linken Schuh auf den Rechten: YOU…………………………………….. 
SUCK!

😐

42 Kommentare

  1. Es gibt also tatsächlich mehr Menschen, die in Schriftzüge und Symbole etwas hinein interpretieren 😉 Dann bin ich wohl auch nicht die einzige die sich über Motto shirts und Taschen mit der Aufschrift “ fuck me I’m a bitch“ oder mit jack daniels Logo wundert 😉
    Warum hast du sie denn nicht angesprochen -.- Menschenskinder … ein wenig Mut schadet doch nicht 😉 Was kann schon passieren ? wenn sie schlecht reagiert, ja mei, dann siehst du sie vermutlich eh nie wieder… und wenn sie gut reagiert, dann kannst du dich darüber sicher freuen 😉
    Oft genug frag ich mich, warum sich so viele Jungs sowas nicht trauen 😉 Die Gespräche in Bus und Bahn sind doch eh die Besten, vor allem weil man auch immer weiß, wie sie beginnen können … wo fährst du hin, wo kommst du her ?
    Nächstes mal nutzt du deine Chance, vllt. bei nem Mädchen mit besserer Schuhaufschrift XD 😉

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    1. Das mit dem Ansprechen ist schon so ’ne Sache, in Discotheken oder Bars, absolut kein Problem, aber in diesem Umfeld… ist das einfach ungewohnt. Aber du hast schon recht, es kann eigentlich nur eine win-win Situation entstehen und das sollte man nutzen 🙂

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      1. Mein bester Kumpel hat mit mir geübt was das Zeug hält. Wir sind beide schüchtern, wirken wegen dem Üben aber nicht mehr so. Meinen man habe ich kennengelernt während wir über die Ampel liefen. Ich bin gerade zu genervt von ihm um zu sagen, dass es sich gelohnt hat, aber es hat sich gelohnt ; P

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      2. Definitiv ein guter Weg, um das zu erreichen, und echt cool dass du auf diese Weise sogar deinen Mann kennengelernt hast (auch wenn er dich gerade etwas nervt, das ist ja nur temporär) 🙂

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      3. Ja tmp ;). Ich finde das auch cool und bin meinem Kumpel soooooo dankbar auch wenn ich auch auf ihn sauer bin weil er inzwischen kokst und sich dabei voll cool vorkommt 😦

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  2. Du betitelst dich als Durchschnittsjunge? Net im Ernst oder? Du könntest mit deiner Auffassungsgabe und deinem merklichen Intellekt sowie deiner coolen Verträumtheit,nie und nimmer durchschnittlich sein! Du liest dich wie ein gutes Buch! Die nächste dann also ansprechen….mellimomente hat sowas von recht!

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  3. Schon krass wie Du eine simple Sache (ein Mädchen mit nem komischen Schuh) so wunderbar lesenswert umsetzen kannst. Allein dafür Hut ab. Und dann noch ein Hut ab dafür wie Du Deine Umgebung wahrnimmst. Denn nur deshalb entstehen so kleine, wunderbare Geschichten die die Welt ein bisschen bunter machen… Danke dafür!!

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    1. Ich würde auch gerne meinen Dank an dich lesenswert umsetzen, da es wirklich toll ist dass du jeden einzelnen meiner Beiträge so saucool verfolgst, aber das kriege ich nicht so ganz hin… also habe ich nur DANKE zu sagen! :)) Und ja, die Welt würde doch noch schöner und bunter werden, wenn man von seinem Gegenüber in der Bahn behaupten könnte, dass er/sie seine Umgebung ebenso intensiv wahrnimmt, bzw. dass man zumindest das Geühl hat es wäre so.. das passiert aber leider viel zu selten 😦

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  4. Spätestens nachdem man das zweite Wort entziffert hat, das sich auf dem anderen Schuh verbirgt. Aber ich kenne das Bedürfnis, sich in Öffentlichen Verkehrsmitteln nicht unterhalten zu wollen. Ich vergrabe mich auch in Begleitung am Liebsten hinter Buch, Zeitschrift oder Smartphone … Oder erfreue mich an den kuriosen Gesprächen anderer Menschen, die glauben sie seien allein.

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    1. Kann ich gut nachvollziehen, habe auch Tage an denen ich mit Kopfhörern und an die Fensterscheibe gelehnt einfach nur meine Ruhe in der Bahn haben will.. 🙂
      Und die Gespräche können teils echt interessant sein wie du schon sagst, da kann gleich der ganze Zug mithören, ob er will oder nicht… das erspart auf jeden Fall die Interpretationsversuche beim Beobachten 🙂

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  5. Ich seh schon, die Frauen hier sind alle dafür, dass Männer vielleicht nicht nur mutig tun sollten, sondern es tatsächlich auch mal sind 😉
    Es entgehen einem so viele bereichernde Gespräche, wenn man nie mit Fremden ins Gespräch kommt, sie öffnen einem die Augen, da sie oft ganz unvoreingenommen sind 😉
    Und auch wenn ich hier noch nicht durch den ganzen Blog durchgeblättert hab, weiß ich, dass Durchschnittsjungs … ääähmm eine Krankheit sind… Die hipstern so durch die Welt mit einem schrankbreiten Gang, so als könnte man an ihnen noch die Evolution nachvollziehen, da sie vor kurzem selbst noch Gorillas waren 😉 Der einfachste Weg sie zu erkennen ist allerdings der, in dem sie zum ersten Mal den Mund aufmachen… heraus kommt ein undefinierbares „quaqua…yoloquaqua…swagquaqua“ fern von jedem Intellekt, jeder Fantasie und jedem rhetorischen Mittel … Da KANNST du gar nicht reinfallen, sogar wenn du Socken als Mützen trägst und den Kartoffelsack deiner Oma „Jute Beutel“ nennst ;P

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    1. Haha, ich seh‘ das mal als ein Kompliment, danke dir! 🙂 Nunja, ich würde jetzt nicht sagen, dass man Durchschnittsjungs zusammen in diese Schublade packen kann, aber durchaus bin ich auch der Meinung, dass es viele von dieser Sorte gibt wo man sich fragt, ey man, wie oberflächlich gehst du eigentlich durchs Leben… selbes gilt für die Sparte Durchschnittsmädels. Aber was ist schon Durchschnitt? Ich denke da sollten wir uns eher bedeckt halten, Schubladen mag ich eigentlich nicht so… 🙂 In diesem Falle war Durchschnittsjunge ein Begriff für ein ausgeglichenes Selbstbewusstsein, nicht komplett introvertiert, aber auch noch ein Stück entfernt von extrovertiert.

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      1. Mut… unserer Generation wurde eingetrichtert, dass es etwas sonderbares ist, fremde Menschen im Alltag einfach so anzusprechen.. das Mädel in der Bahn, am Fußballplatz oder im Café. Daher ist es gar nicht so einfach, an dieses Maß an Mut heranzukommen, um auf jede interessante Person zuzugehen. Aber ich arbeite dran, ich hasse das Gefühl einfach zu sehr, wenn diese Person weg ist und du weißt, du wirst niemals ihre Geschichte erfahren.. oder halt das was dich interessiert hat.

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      2. Ach echt? Das ist komisch. Habe nicht bemerkt, dass mir das eingetrichtert wurde. Allerdings haben mich alle meine Freundinnen für verrückt erklärt: „Man nimmt doch keinen Mann von der Straße!“. Wir, du und ich meine ich, sind zwar nicht gleich alt aber doch noch die gleiche Generation. Ich finde diese Eintrichterung total dumm. Dann darf man ja Freunde und den Partner fürs Leben nur auf Partys oder im Netz kennenlernen. Äußerst eingeschränkte Auswahl und das wo es doch schwer ist Leute zu finden mit denen man Lust hat durch dick und dünn zu gehen oder Pferde zu stehlen. Und noch schwieriger ist es sich unsterblich zu verlieben so dass man sich nicht nach fünf Jahren wieder trennt weil das Feuer erloschen ist, man keinen Sex mehr hat und sich nur noch nett findet. Ein tristes Leben.

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      3. Versteh mich nicht falsch, aber es ist bei Weitem keine Selbstverständlichkeit.. leider. Junge Frauen/Männer sprechen sich nur sehr selten auf der Straße an im Sinne von „Hey ich finde dich interessant“ (natürlich galanter ausgedrückt), da ist halt irgendwo eine Barriere, die das verhindert und die es einzureißen gilt. Ich denke auch, den Partner fürs Leben wird man nicht auf ’ner Party oder im Netz kennenlernen

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      4. Hihi so ist es 😉 So viele Männer denken sie wären traum Männer… und dann vergessen sie auf was es ankommt… Taten und Worte richtig einsetzen und manchmal einen gang zurück schalten, aber das Leben ist ja kein Wunschkonzert 😉

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      5. Ja das wichtigste scheint das maskuline zu sein: mukkis, haarschnitt, Gang, Sprache, Haltung, Verhalten … zum kotzen. Die merken dann gar nicht, dass ich sie manchmal nur lächerlich finde …

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      6. Leider ja. Trainieren für Muskeln ok — aber ein hulk ist halt echt nicht mehr sexy. Viele merken nicht wanns genug ist. Ebenso bei den anderen maskulinen Eigenschaften.

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  6. Dieses Mädchen hat Humor – so interpretiere ich das und eigentlich finde ich es sehr schade, dass du nicht die Gelegenheit genutzt hast, genau wegen der „Schuh-Aussage“ mit ihr in Kontakt zu treten ……. Das ist das Eine!
    Andererseits bist du ein super Beobachter, beschreibst deine Erlebnisse sehr lebendig. Ich lese deine Beiträge sehr gerne, geben sie mir doch Einblicke ….. eben in „junge Gedanken“. Übrigens musste ich erst mal nachschlagen was „suck“ heißt, dabei gibt es ein deutsches Wort, das dem englischen sehr nahe kommt „suckeln“. Heißt auch „saugen“, aber ich habe auch gelernt, dass es hier etwas anderes heißt. Man lernt nie aus – und das ist auch gut so 😀

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    1. Ja, ich muss sagen, es war nicht ganz einfach zu entscheiden, ob arrogant oder humorvoll, aber wie du schon sagst, ich hätte es verbal herausfinden sollen 🙂
      Höre ich sehr gerne, dankeschön! Und ich musste grade echt schmunzeln, für so Momente bin ich dankbar dass auch ältere Personen den Weg zu meinem Blog gefunden haben! 🙂

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  7. ach ich liebe diese geschichten über diese kleinen fast-begegnungen. damit habe ich ganz, ganz ursprünglich vor vielen jahren meinen blog gestartet. und auch, wenn sich das bei mir total verlaufen hat, darüber zu schreiben, beobachte ich nach wie vor so gern.

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    1. Freut mich sehr, wenn diese Beobachtungen genau deinen Nerv treffen, so macht das auch Spaß darüber zu schreiben 🙂 Vielleicht, wenn du mal wieder mit deiner Kamera unterwegs bist, kannst du ja auch präzise beobachten und dir vll. eine Geschichte ausdenken, um anschließend diese Person zu fotografieren (mit Erlaubnis :D) und als Pseudoporträt auf deinem Blog hochladen :-))

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      1. mal sehen. geschichten zu den fotos ausdenken, der gedanke gefällt mir. vielleicht ergibt sich da mal was. menschen fragen ob ich sie fotografieren darf – das glaub ich wird eher nicht das meine 😉

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