Och man, da bin ich einmal glücklich, und schon bin ich unglücklich, weil ich glücklich bin. Glücklichsein schränkt mich nämlich enorm ein. Ich lese weniger, ich schreibe weniger. Die Stimmung, in der meine Gedanken in abgefahrene, total durchdachte und lyrisch wie belletristisch höchst anspruchsvolle Texte münden, ist von einer mich völlig einnehmenden Melancholie, dem Feind der guten Laune, geprägt; eine Melancholie, die sich selbst den Revolver des Glücklichseins an die Schläfe hält und abdrückt. Voll der komatöse Zustand gerade. Mein Alltag ist benebelt von glücklichen Gedanken. Ich fühle mich, als müsste ich mich dafür entschuldigen. An das Ich, das ich so lange in diesem Jahr war. Sorry Bro, aber ich mache gerade eine Pause von diesem ganzen nachdenklichen Mist, ich leb’ kurz ’ne Runde, okay? – Ist nicht okay, verdammt! Wie egoistisch ist das denn? Denkst du auch mal an dein Buch? Dein Buch kann doch nicht plötzlich mit diesem glücklichen if you love the life you live you will live the life you love – Gedöns anfangen. Es ist ein nachdenklicher Schinken!!! Und dein Blog? Wer will denn noch diese unsympathischen how to be happy – Ratgebertipps hören? Dein Markenzeichen ist das tiefsinnige how to be unhappy. Bleib dir selbst treu, du Versager. – Mensch, mein zweites Ich scheint wohl dezent aufgebracht zu sein. Hätte nicht gedacht, dass es ihm so schwerfallen würde, wenn ich mal auf happy mache. Zumindest in Teilen (ein enormer Fortschritt gegenüber einigen Wochen zuvor); ist das denn schon zu viel? Und schon geht’s wieder los – Alter, hast du vergessen wie scheiße es ist, in brachialer Übermüdung die 7 Uhr – Bahn in Richtung einer weit entfernten Stadt zu nehmen um dort in einem mittelklassigem Universitätsgebäude zwischen zwiespältigen Charakteren die über das Wetter reden und noch zwiespältigeren Dozenten die ihren eigenen Stoff nicht verstehen die so wertvolle Zeit verstreichen zu lassen, ohne etwas dagegen zu unternehmen? – Was meinst du damit, etwas dagegen zu unternehmen? – Ja, halt unglücklich zu sein. Nachdenklich. Abgeschottet. Dir Zeit für dich nehmen. Durchgängig. Ohne diese Fremdbezogenheit, diesen äußerlichen Einflüssen, die dich plötzlich in Anwesenheit anderer Menschen lachen lassen (lachen!!!), oder ins Kino tragen, wo du in Angesicht eines durchschnittlichen Hollywood-Kommerzstreifens verblödest. Alter, du enttäuscht mich! – Aber ist das nicht normal? – Normal? Wer will denn schon normal sein? Hast du vergessen, dass du keiner dieser von acht bis fünf arbeitenden Menschen sein willst, deren Lebensgehalt so gigantisch banal wie das Innenleben einer Paprika ist?; der Kern ist da, aber den schneidet man immer raus, weil der einfach scheiße ist und ihn niemand haben will. Und wie irrsinnig ist dann überhaupt die Paprikahülle? Sie beschützt etwas, das man eh wegschmeißt. Was ich damit sagen will: Jim, du bist zur Zeit ein Scheißgemüse. – Auch wenn ich nicht weiß, wer da genau mit mir redet, das Unterbewusstsein?, das Bewusstsein?, so muss ich doch im Angesicht dieses Paprika-Vergleiches schmunzeln; immerhin wird die Paprikahülle von der Gesellschaft mit Kusshand akzeptiert/gegessen – ein (oberflächliches) Angepasstsein – und damit einhergehend ist sie ein Indikator für das Glück im Alltag. Jetzt spinne ich den Faden noch einmal weiter und sage, die Paprikahülle nutzt sich mit den Jahren ab, weil alle (Arbeit, Uni, Freunde, Freundin, Familie, Sport, Freizeit) mal reinbeißen dürfen, bis nur noch der Kern übrig bleibt. Was macht man dann mit dem Kern? Ganz bestimmt nicht wegschmeißen. Nö, man nimmt ihn und pflanzt ihn in das Habitat eines neuen Lebensabschnittes; ein Lebensabschnitt, den man sich in völliger Entscheidungsfreiheit selbst aussuchen darf; die Erfüllung seines tief im Inneren keimenden Traumes. Bis dahin gilt es aber, die rot leuchtende Schönheit der Paprika weitestgehend zu erhalten. Und dafür muss halt auch das Innere zumindest in Teilen glücklich sein.

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