Es ist Montag. Es ist 8:40 Uhr. Sitze im Zug zur Uni. Ich werde gleich den Endgegner aller Klausuren schreiben. Statistik. Ein Studienkollege steigt ein und setzt sich neben mich. „Hey Jim, wie kommst du mit Statistik zurecht?“ – „Hey, naja, nicht so gut. Ich mag Statistik nicht. Wenn ich Statistik mögen würde, wenn ich gut in diesem Modul wäre, wenn ich das alles logisch erklären könnte, ja dann…
… dann wäre alles auf dieser Welt möglich! Dann würde ich morgen aus dem Moment heraus nach Kenia reisen und mit 37 achtjährigen Waisenkindern in der glühendenden, am Horizont abtauchenden rotorangenen Abendsonne unter vereinzelt zuschauenden Elefanten und surreal großen Giraffen mit unendlich langen Hälsen Fußball spielen. Dann könnte ich mir in der Halbzeit ein Kanu schnappen und wäre einen Augenschlag später einer dieser mutigen Ich-lebe-meinen-Traum-Abenteurer auf dem in hellblauen Glasfarben getöntem Lake Louise in Alaska und würde eines dieser Sehnsuchtsfotos von der Spitze meines Kanus mit den schneeweißen und einsam wie graziös anmutenden Bergen im Hintergrund schießen. Dann würde mich ein riesiger Greifvogel oder doch vielleicht ein Kleinflugzeug nach Südamerika bringen, wo ich im tiefsten Amazonas von wilden aber sympathischen Affen umzingelt werde, die mich skeptisch begutachten, die mich aber schnell zu einem ihrer Freunde machen und mich auf dem gefährlichen Weg durch den verwachsenen, in funkelnden Grüntönen zauberhaft erscheinendem Dschungel begleiten, voller Lianen, bewucherten Ästen kreuz und quer und bunten Papageien wie Zeichnungen von glücklichen Vögeln, die am Ende einer sehnsuchtsvoll erreichten Lichtung von fantastischen Regenbogenstrahlen beleuchtet den unglaublichen Ausblick auf ein Meer von Wasserfällen präsentieren. Dann würde ich so mutig wie noch nie zuvor nach einem 40 Meter freien Fall ins abkühlende Nass eintauchen und in der eisigen Kälte der bildgewaltigen Gletscherlandschaft im touristenfernen Grönland wieder auftauchen, die handschuhlosen Hände an der herzerwärmenden Oberfläche der Eisberge entlang gleitend, die Schuhe mit Spitzhacken fest mit dem gefrorenen Wasser vereint, den faszinierten Blick auf die niemals enden wollenden vereisten Reichtümer des Ozeans gebannt,
Dann würde ich mit dem Schneemobil und per Anhalter unter Verknüpfung mit vielen tollen Gleichgesinnten bis zu den Malediven reisen, wo ich mich an einem unberührt abgelegenen Strandabschnitt zu einer angehäuften Flut aus blau leuchtendem Plankton lege und wir gemeinsam die unzähligen Sterne und die augenöffnende unwirklich am Himmel gebannte Milchstraße beobachten. Dann umschließt mich der Sand auf meinen Wimpern und lässt mich in Australien aufwachen, wo ich im Great Barrier Reef mit Millionen von vermeintlich gefährlichen aber in Wirklichkeit zutraulichen und doch-nur-geliebt-werden-wollenden Quallen aufwache und mit ihnen Hand in Hand und ohne schmerzenden Berührungen die Weiten des Ozeans mit flachen Fischen so gigantisch groß und dicken Seekühen so zärtlich behutsam wie furchteinflössend und uralten Schildkröten erkunde. Dann würde mich ein auf der ruhigen Wasseroberfläche schon wartender Heißluftballon abholen und kilometerweit in die klare Luft tragen, fern von jeglichen Abgasen und atmosphärischen Schmutzpartikeln verschuldet von Abbildungen unglücklicher wie kommerziell-ausgerichteter Menschen, so weit in den Ozon bis sich mir die Krümmung der Erde offenbart, mit all seinen Wundern, mit all seiner Schönheit, mit all dem, das ich, wenn alles möglich sein würde, jetzt und hier und gleich sofort, entdecken würde…
„Jim?… Jim??… JIM!!!“
„Ja?“
„Wir müssen aussteigen, oder willst du zu spät kommen und damit durch die Prüfung rasseln?“
Wenn alles möglich wäre, dann hätte ich jetzt „Ja!“ gesagt.

Hinterlasse eine Antwort zu confidentcontradiction Antwort abbrechen