Eine weitere Woche ist vergangen, eine weitere Woche, in der ich nicht weiß, worüber ich schreiben soll. Es hat sich einfach nichts geändert, kompletter Stillstand, eine Nullpunktsituation, so als gäbe es kein Vorher, weder Erfahrungen noch existente Texte, an denen ich mich aufbäumen könnte. Keine einfache Situation für jemanden, der Schriftsteller werden möchte.
Oh, haben wir hier etwa einen potenziellen Schriftsteller? Die Annahme, das es sich so verhalten könnte, ist mit einer wahnsinnigen Bedeutungsschwere aufgeladen und liest sich verdammt intellektuell, verdammt geistreich, be- und erlesen, durch und durch anmutig. Nur, dass ich nichts davon bin, nicht einmal ansatzweise, irgendwie paradox, ich reihe Buchstaben zu einer Attributkette aneinander, die wie ein Giraffenhals auf den Korpus einer Bisamratte gesetzt werden soll. Praktisch unmöglich, dazu müsste man schon die Top-Chirurgen der Schönheitsbranche engagieren, und selbst dann würde man das Gefühl nicht loswerden, dass da irgendwas nicht stimmt.
Okay, gehen wir es durch. Intellektuell? Was ist das überhaupt? Von dem Sandkorn eines Themenbereiches Ahnung zu haben, weil du irgendwo mal davon gelesen hattest, vermutlich in einem Buch über unnütze Fakten, um diesen im überhöhten Selbstbewusstsein einem flüchtigen Kontakt vor die Füße zu werfen? Ich schätze, dann kommt es ganz auf die Reaktion an; ist er voller Bewunderung für das, was du eben so locker leicht rausgehauen hast, bist du vermutlich intellektuell. Legt er allerdings einen zweiten Sandkorn daneben, der das Thema aufgreift und von einer anderen Perspektive beleuchtet, bist du am Arsch, weil du keine Ahnung davon hast. Du verlässt die Situation mit einer rot angeschwollen Beschämung auf den eingefallenen Wangen und er sonnt sich im Lichte der Intellektualität, obwohl auch der Ursprung seines Sandkorns nur im Laufe einer Wer-wird-Millionär? – Sendung oberflächlich besprochen wurde. Ich werfe daher nur selten mit Sandkörnern, zum einen, weil ich kein Buch über unnütze Fakten besitze, zum anderen, weil ich von nichts wirklich ’ne Ahnung habe und ich Gegenfragen nur brachial ausweichende Lachanfälle entgegenzusetzen habe.
Geistreich? Hat das was mit Bibel zu tun oder so? Oder mit einer tiefsinnigen Kreativität auf spontanakute Problemstellungen? Ersteres erscheint mir unsinnig, ich besitze drei Bibeln, in denen ich jedes Vierteljahrhundert nach meinem Taufspruch suche, trotzdem hielt es bisher kein einziges menschliches Geschöpf für nötig, mich als geistreich zu betiteln. Zweites könnte da wohl eher in Frage kommen, geht jedoch leider Hand in Hand mit dem gesellschaftlich anerkannten Attribut der Schlagfertigkeit, die bei mir ungefähr so ausgeprägt ist wie die Ambition eines Faultiers, Gymnastikweltmeister der Säugetiere zu werden. Sprich, es mangelt meinem kreativen Lösungsbewusstsein zu kurzfristig auftauchenden Fehlern an dezenter Präsenz.
Jetzt kommts: Be- und erlesen. Der mir gegenüber sitzende Bahnfahrer ist wohl der Einzige, der denkt, dass ich belesen wäre, so wie ich da mit meinem achthundertseitigen fünften Band der Karl Ove Knausgard – Autobiographie sitze, den Blick abwechselnd vollkommen deep und tunnelartig vom Buch durch die Scheiben durch die Scheiben auf das Buch schwenke. Tatsächlich habe ich ganze acht Bücher seit Oktober letzten Jahres gelesen, davor waren Bücher von etwas Grausamen, Unnatürlichen umgeben, das mich gänzlich abschreckte. Dieses Traumata begann 2007, als ich die jugendliche Unterhaltungsliteratur gegen Videospiele austauschte, und damit auch die Fantasie, die ein Buch beflügelte, gegen das stumpfe Abballern virtueller Gegner. Erlesen war ich in dieser Zeit nur was die Aufsätze verschiedener Sturm- und Maschinengewehre anging, es gab Schalldämpfer und Vollmantelgeschosse und die blaue und die rote Tigerstreifencamouflage, von der ich nachts träumte, weil sie so unerreichbar schien.
Und anmutig? Was soll das eigentlich sein? Ist man anmutig, wenn man den Kopf möglichst langsam bewegt, die Nase leicht in die Höhe gestreckt, den Blick voller Würde und Grazie? Und wer macht das, außer die Queen, der Papst und Kim Kardashian? Das Langsame in den Bewegungen erfordert Ruhe, Ruhe die ich nicht habe. Zumindest nicht, wenn es darum geht, ein Nutella-Toast von der Küchenplatte zum Küchentisch zu tragen, denn der vierzehn Zentimeter breite Abgrund zwischen Küchenplatte und Küchentisch eignet sich doch hervorragend für einen freien Fall auf die bestrichene Seite des Toastes. Manchmal aber stelle ich mir vor, dass mich ein Fotograf (Kuhno?) in einem anmutigen Moment ablichtet, den potenziellen Schriftsteller mit dem schwarzen Mantel, schwarzer Jeans und schwarzen Stiefeln, weißblonden Draco Malfoy – Haaren und leicht sonnenbankgebräuntem Teint im Gesicht, mit der Kippe im Mund an eine Säule im dunkelgrauen Regenschauer lehnend. Dann denke ich mir, boar bin ich schön, noch ein bis sechs Filter drüber und fertig ist das neue Profilbild. Das ist wahre Anmut, schätze ich. Ebenfalls scheitert das Anmutige bei mir an der Unfähigkeit, flüchtige Kontakte mit bedachten Antworten so zu manipulieren, dass sie in mir jemanden sehen, mit dem sie sich gerne umgeben und schöner noch, den sie bewundern und zu dem sie hochschauen. Oft platzt es schon beim Guten Tag sagen, da ist mein Gehirn überfordert und möchte Guten Tag und Hallo gleichzeitig aussprechen, meist aus dem Grund, nicht mit dem selben Wort zu grüßen, das der Gegenüber benutzt hat und aufgrund der zu kurzen Zeitspanne, die mir zum überlegen bleibt, endet es in einem matschigen Guthallo oder ähnlichem und einem verdutzt dreinblickenden, leicht angewiderten Gegenüber.
Man, ist das deprimierend. Da hegt man den Wunsch, Schriftsteller in die Bio seines Xing-Profils reinschreiben zu dürfen und wird von Attributen überrannt, deren Aneignung mir so fern liegt wie das Land, in dem ich wohnen möchte (ja, Alaska ist für mich ein eigenständiges Land). Und außerdem, wie soll mein Name auf dem Hardcover eines Spiegel-Bestsellers stehen, wenn ich verdammt nochmal nichts zustande bekomme.
Bestgelaunte, verkaterte Donnerstagsgrüße von dem Schreibtisch meines Arbeitsplatzes,
Jim Kopf

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