Beinahe ist es schon unheimlich, unheimlich einnehmend, wie präzise und detailliert und furchtbar aufregend die Gedanken vor meinem inneren Auge tanzen. Sie erheben jeden Blickpunkt zu etwas unmöglich Realem, während in mir der zwingende Reflex aufsteigt, damit etwas anfangen zu müssen. Nur was? Aufschreiben? Ist es damit getan?
Wenn ich so sehe, diese dreiphasige Abstufung bordeauxroter Töne auf der geheimnisvollen Erscheinung der jungen, naturblonden Dame mir schräg gegenüber im Zug, eine dünne Linie auf den weißen Sommerchucks, die sie trägt, unbeachtet jeglicher Normen die ihr einzuprägen zu versuchen, dass diese nur für den Augenblick eines strahlend heißen Sommertages existieren, an diesem verregneten Donnerstagmorgen zu Beginn des ungemütlichen Februars, bei dem man nie weiß, ob er erwartungsgemäß der langweiligste aller zwölf Monate wird, mit einer leicht dunkleren, eng anliegenden Jeanshose, in dessen rötliche Färbung ein paar Salven schwarzer Grundtöne eingemischt sind, bis zu den noch dunkleren, mattroten Fingernägeln, welche die bordeauxrote Farbpalette in ihrem Antlitz komplettieren und sie so mädchenhaft zärtlich dort sitzen lassen, die dünnen Beine übereinander geschlagen, den rechten Fuß zuckend und wippend für den Bruchteil einer Sekunde, im Takt der Symphonie in ihren Kopfhörern, die sich nahezu perfekt an ihre schmalen Ohren schmiegen und jegliche Außengeräusche ausblenden, es müssen gerade die Anfangstöne eines ihrer Lieblingslieder angelaufen sein. Das Display ihres leicht veralteten Smartphones ist gesprungen, viele kleine Risse inmitten eines womöglich seichten Daseins, beschwingt ge- und erlebt, die Knöchel freigelegt, früher hätte man hier Hochwasser bemängelt, doch nun ist es eine bewusst trendige Art aufzutreten, im Gleichschritt mit Gleichgesinnten, stellt sie kein unübliches Bild dar, das sich tagtäglich zeichnen ließe, ohne groß darüber nachdenken zu müssen, ohne vorige, abfotografierte Hilfestellungen, sie ist frei, doch eingesperrt in einer Gefängniszelle, unwissend, dass sie von Standardeinstellungen eingeengt als Häftling darin festgehalten wird. Als sie sich erhebt, um sich viel zu früh auf den Ausstieg an der mir unbeliebten Endhaltestelle vorzubereiten, man, ich würde lieber den ganzen Tag hier sitzen bleiben, beobachten, lesen, schreiben, doch ich muss, die Verpflichtung ruft uns beide, so dämlich verankert ohne Ausreißmöglichkeit abseits kurzfristig entschiedener Ablenkungstrips, so unberührt wie ihre Augen leuchten als sie den Rest ihres Profils offenbart, entsteht der unvermeidbare Eindruck, sie in eine Schublade stecken zu müssen, in der alle Entscheidungen abgelagert sind, deren Kontrast man am ehesten als Entscheidungsfreiheit bezeichnen könnte, als eine auf den eigenen Gedanken basierende Selbstbestimmung, die sich so wunderbar in der offen stehenden Schublade am anderen Ende des dunklen Tunnels des Alltags präsentiert, um der gedrosselten Rationierung unseres Potenzials entgegenzuwirken. Vielleicht wäre es ein wichtiger erster Schritt, die Taschenlampe einzuschalten, verdammt, ich würde es ihr gerne mitteilen, dabei hatte ich doch zunächst den Eindruck, die Sommerschuhe im Winter würden eine andere, nahezu sehnsüchtig erwartete Persönlichkeit vermitteln, doch schon ist sie weg, das Mädchen mit den bordeauxroten Abstufungen.


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