Die langersehnte Fortsetzung des unglaublichen Roadtrips durch die USA…
Nach einer siebenstündigen Autofahrt von Pagosa Springs waren wir endlich in Sedona angekommen. Auch das war ein Ort, in den ich mich schon einige Jahre vorher verliebte, es war dieses besondere Rot in den Bergen, dieser besondere Anblick einer mir bis dahin vollkommen unerschlossenen Landschaft. Jetzt waren wir hier und schon die letzten Meter bis zum bis dahin teuersten Airbnb (Walt Disney soll hier einen Film gedreht haben!) fühlten sich wie ein echtes Abenteuer an, es ging bergauf und bergab, durch dichte Wälder und zwischen immer höher werdenden sonderbaren Bergformationen entlang.
Die lange Autofahrt schlauchte. Es gelang uns nur noch, das lokale Toprestaurant aufzusuchen und einen Haufen Nudeln zu verschlingen, wobei der Kellner eine solche Ruhe und Gelassenheit ausstrahlte, die wohl nur ein echter Ureinwohner Sedonas hervorbringen konnte; ein cooler Typ! Also nahm ich mir insgeheim vor, später mal ein Kellner wie er zu werden, als wäre ich acht Jahre alt und vor mir Stünde der Beste seiner Art. Ein klavierspielender Autor, der abends im angesagten Nudelrestaurant vollwertige Bionudeln in cremiger Weißweinsoße mit einer Gelassenheit serviert, die jeden Mönch alt aussehen lässt. Geil, meine Zukunft stand fest.
Die Berge riefen. Sedona ist dafür bekannt, eine höhere Energie auszustrahlen, ein Ort, an dem sich Energie in einer besonderen Intensität spüren lässt. Dazu gibt es fünf Berge, die diese Energie nachweislich noch einmal erhöhen, jeder dieser Berge war ein sogenannter Vortex. Man soll es tatsächlich spüren können.
Some say Sedona’s vortex energy is so powerful that you can actually feel it and that it is powerful enough to help people take giant leaps with their spiritual development. (Link)
So richtig spirituell bin ich zwar nicht, aber ich wollte da hoch. Sie war dagegen, weil es keine Absicherung gab. Nein Jim, das machst du nicht!
Auf halber Höhe des Bell Rock’s, einem der fünf Vortexe, der schon bis dahin eine nicht nur anstrengende, sondern beinahe schwindelerregende Steigung vorwies, ließen wir uns auf einem Vorsprung nieder. Diese Aussicht. Überall rot und grün und ein gefühlvoller Weitblick in eine einzigartige Landschaft und höher müssen wir nicht, oder? Doch! Pass auf, ich geh kurz um die Ecke und schau, wie es von hier weitergeht.
Okay, keine Chance, oder? Ich will aber! Darf ich hoch? Bitte bitte! Ja okay. YESSS! In fünfzehn Minuten bin ich wieder bei dir. Okay, gut. Bis gleich, pass auf dich auf. Ja, mach ich. Warte hier.
Fünfzehn Minuten. Wie blöd war denn diese Abmachung? Ich soll in fünfzehn Minuten zur Spitze klettern und wieder zurückkommen? Ich?, jemand, der noch nie in freier Wildnis ohne Absicherung geklettert ist, abgesehen von den wenigen Steigungen am Reinebringen in Norwegen vor zwei Jahren? Naivität und der absolute Wille, da jetzt hochzuklettern, vermischten sich zu einer besorgniserregenden Soße.
Die ersten dreißig Meter waren noch okay, irgendwie konnte ich mich zwischen Steinen in einer Manier, wie es Kinder in Türrahmen machen, nach oben drücken. Dann aber gab es nur noch eine Wand, die senkrecht(!) in die Höhe verlief. Ha!, niemals. Zu meinem Gunsten aber stand an dieser Stelle ein mehr oder weniger durchtrainierter Typ, der zu meinem persönlichen Bergführer wurde. Da er schon öfters auf dem Gipfel war, sagte er mir bis auf den Zentimeter genau, wo ich hintreten, wo ich mich festhalten musste. Ein Blick nach unten und es ging gute fünfzig Meter bis zum nächsten Vorsprung des Berges hinab. Ich hatte Schiss, gleichzeitig aber fühlte ich mich sicher genug, es zu probieren, wobei die Sicherheit sicherlich von der naiven Soße eines kindlichen Gefühls herrührte, das mal einem kleinen, jungen Draufgänger gehörte, der in seiner Kindheit jede Herausforderung abseits jeglichem Verantwortungsbewusstsein annehmen wollte.
In diesem Augenblick war es wieder da, dieses Kindheitsgefühl, und es machte mich blind für die Tatsache, dass ich hier ohne Sicherung senkrecht nach oben kletterte, während meine Freundin nach mittlerweile einer halben Stunde noch immer auf halber Höhe auf mich wartete.
Meine Finger schmerzten, im Oberarm überspannte sich jeder Muskel, jeder Handgriff musste sitzen. Doch dann, dann hatte ich es geschafft und stand auf dem Gipfel des Vortex. Ich war stolz auf mich, und war erfüllt von dieser Erfahrung. Für so etwas reise ich! Für solche Erfahrungen. Das gab mir unendlich viel.
Vierzig Minuten war es her, seitdem ich sie auf halber Höhe habe warten lassen. So eine Scheiße! Mein Handy zeigte keinen Empfang an, doch mein Bergsteigerkumpane gab mir seins und ich tippte ihr hastig eine SMS, machte ein paar Fotos und stieg leicht wie ein Schmetterling an der Nordwand Arizonas wieder bergab.
Urplötzlich hörte ich ihr Rufen. Sie rief meinen Namen, wieder und wieder. All meine Freude über die Kraxelei und den Gipfelsturm verschwand automatisch und verendete in Sorge – ich hatte sie fast fünfzig Minuten warten lassen, obwohl fünfzehn Minuten vereinbart waren. Als ich um die Ecke kam, war sie voller Tränen, und für den ersten Moment hasste sie mich, was ich total verstehen kann. Ob sie meine SMS denn nicht bekommen hatte?, nein, sie hatte auch keinen Empfang. Verdammt. Nach ein paar Minuten jedoch nahm die Erleichterung sie wieder in den Arm und wir stiegen bergab, liefen zurück zum Auto, aßen einen Burger und tranken ein Bier in der liebenswerten Kleinstadt Sedonas und dann sagte ich: Weißt du Schatz, das ist total blöd gelaufen vorhin, aber wir haben nur diesen Tag heute, wollen wir nicht noch zu dem anderen Vortex?
Ihr grimmiger Blick verriet etwas in die Richtung „Du kannst mich mal“ und „Ich würde lieber in den kleinen Läden spirituelle Traumfänger kaufen“. Eine Stunde später saßen wir auf einem Vorsprung des anderen Berges, dem Cathedral Rock, und ich sagte, lass uns doch den wunderschönen Sonnenuntergang hier schauen, sie hielt das für keine gute Idee, da wir mittlerweile die letzten Touristen dort waren, die immernoch auf dem Berg saßen. Aber naja, irgendwie wollte ich ihr wohl ein wenig Romantik bieten, was leider auch komplett fehlschlug.
Der Sonnenuntergang war mittelmäßig bewölkt und nicht einmal zehn Minuten nachdem die Sonne hinter dem Horizont verschwand, war es dunkel. Stock fucking finster. Von jetzt auf gleich. Sie in Panik, ich ganz cool, aber sind wir ehrlich, im Inneren auch in Panik. Mit unseren Handyleuchten rannten wir durch den Park und suchten den Ausgang, wo wir geparkt hatten. Dass uns unser Airbnb Host auf mögliche Berglöwen, Skorpione und Schlangen hingewiesen hatte, machte es nicht unbedingt besser.
Endlich kamen wir an einen Zaun, über den wir kletterten. Und da war er, ein Parkplatz. Leider der Falsche, denn da stand kein Auto mehr. Aber die Straße grenzte an, und wir rannten sie hoch und da, da war er, unser Traum von einem silbernen Jeep, silber glänzend unter dem Vollmond.
Wir saßen im Auto und alle Anspannung fiel ab. Vorsichtig schaute ich sie an, sie schaute mich an, sagte „Du Idiot“ und dann… lachten wir. Laut und lange.
Gott, was war das nur für ein Abenteuer.
Solche Erlebnisse sind mit keinem Geld der Welt zu bezahlen! Einfach nur sehr, sehr schön geschrieben, lieber Jim! Die Ängste deiner Freundin kann ich sehr gut verstehen, aber ich denke oft, wie es „damals“ war – in Zeiten vor Handys, sms, Mails …… Wenn der Freund eine Wanderung unternahm und sagte, er sei in drei Stunden wieder da, dann hieß es einfach Geduld und Vertrauen haben. Niemand machte sich so schnell Sorgen wie heute, wo jeder mit jedem immerzu „verbunden“ ist.
Ich wünsche dir noch tausende solche Erfahrungen. Liebe Grüße, Sigrid
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P.S. Natürlich meine ich mit Erfahrungen solche wunderbaren Erlebnisse 🙂
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Vielen lieben Dank, Sigrid, ich freue mich sehr über deine Worte und dass du mal wieder den Weg zu meinem Blog gefunden hast 🙂 Und diese Worte werde ich meinem Mädchen überbringen, Geduld und Vertrauen, das trifft es perfekt und ich hoffe, sie kann es annehmen.
Dankeschön!
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Sich weniger sorgen, mehr Vertrauen und Gelassenheit hilft sehr oft im Leben. Mir blieb oft gar nichts anderes übrig und das Handy einfach nicht so wichtig nehmen! Uns Älteren gelingt das noch. Einen wunderbaren Sommer wünscht dir Sigrid 😃
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Ich hoffe, dass wir auch noch dahinkommen werden 🙂 Wünsche ich dir auch!
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unglaubliche Fotos… interessanter Bericht… danke u Gruss
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Vielen Dank, das freut mich sehr dass es dir gefallen hat 🙂
Liebe Grüße zurück,
Jim
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wieder ein toller Beitrag und ich kann dir nur einen Rat geben ! Mach das nie wieder !!! Kein Berg auf der Welt ist es wert ohne Sicherung hochzusteigen. Es reicht eine Kleinigkeit und das war es unter Umständen ! Also nur ein Tipp von mir !!!! Ein Absturz muss nicht immer tödlich ausgehen aber es reicht hier in dieser Wildnis sicher auch nur eine Verletzung und Probleme sind im handumdrehen da !!!! Die Eindrücke der Fotos sind natürlich wieder der Hammer !!!!
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Und auch hier, ganz großes Dankeschön! Uuuuund ja, ich höre auf dich, das war vielleicht nicht so klug ohne Erfahrung und Absicherung, das weiß ich selber, in der Natur reicht nur ein einziger Fehler… Vielen Dank 🙂
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