Warum Alaska, werde ich all die Jahre gefragt, wann immer ich anfing von Alaska zu reden. Alaska ist die Antwort, habe ich dann immer gesagt. Alaska ist zumindest Teil der Lösung, aber auch Teil des Problems. Gäbe es kein Alaska, wie ginge ich dann mit der Frage um, die ich mir jeden Tag in jedem Jahr stelle. Eine Frage, so existenziell für das Leben, das ich nicht anders konnte, als sie mir jeden Tag aufs Neue zu stellen. Für all diejenigen, die mich fragen, warum Alaska, immer wenn ich anfing von Alaska zu reden, gibt es kein Alaska und diese Frage, die ich mir Jahr für Jahr und Tag für Tag stelle, ist keine Frage für sie. Weißt du, ich denke das ist etwas Gutes. Weniger Fragen bieten weniger Raum für etwas wie Alaska. Der Raum um meine Frage ist so groß und weiß und weit und leer wie Alaska. Ihr Raum bündelt sich nicht um eine Frage, ihr Raum ist klein und komprimiert und enthält lauter dieser zufriedenen Moleküle, die ich in Alaska sehe, wann immer Alaska vor meinem inneren Auge auftaucht, wann immer ich anfing an Alaska zu denken. Sie kennen mein Alaska nicht, und weißt du, ich denke das ist etwas Gutes. Weniger Gedanken an Alaska reduzieren die Möglichkeit, unzufrieden im Raum seiner eigenen Welt zu sein. Da ist das Haus, die Arbeit, Freunde, Freundin und Familie. Diese Welt ist so begrenzt, und weißt du, ich denke das ist etwas Gutes. Unendliche Welten sind viel zu unendlich, um glücklich in ihnen zu sein, also reduzieren sie ihre Welt und sind glücklich mit dem, was sie haben, wo sie sind, wer sie sind. Wenn ich mich frage, was ich habe, ist die Frage, was ich nicht habe. Alaska, sage ich dann zu mir selbst, Jahr für Jahr, Tag für Tag. Ein Ort, so weit und weiß und leer, der alles hat, was ich mir einrede nicht zu haben. Wenn ich mich frage, wo ich bin, ist die Frage, wo würde ich gerne sein, ja, Alaska!, ist so weit weg und weiß und leer. Und wenn ich mich frage, wer ich bin, ist die Frage keine Frage, sondern eine Feststellung, ich bin Niemand. Aber für uns bist du jemand, sagen sie dann, wann immer ich anfing, von Alaska zu reden. Keines ihrer Worte dringt zu mir durch, der Raum zwischen uns ist weit und weiß und leer. Ich will darin verschwinden, doch ich kann es nicht, stehe Tag für Tag am Ufer gegenüber und sie winken mir zu. Sie wissen wo ich bin, sie können mich sehen, und immer wenn sie mich sehen, verschwinde ich in mir, nicht jedoch in Alaska, du unendliches Land.

Was gibt es in Alaska, fragen sie mich, wann immer ich anfing, von Alaska zu schwärmen. Kein Haus, keine Arbeit, keine Freunde, keine Freundin, keine Familie. Weißt du, ich denke das ist nichts Gutes. Und doch schwärme ich, in Alaska, bestätige ich, gibt es das große und weite und weiße und leere Nichts. Ist das nicht schön?, frage ich dann der Rhetorik halber in den Raum, und sie schütteln den Kopf. Ihre Vorstellung von Alaska ist klein und komprimiert, sie sehen in Alaska nichts, das sie hier haben. Na gut, sage ich, und fühle mich bestätigt, Alaska zu sagen, immer wenn mich diese Frage verfolgt, erst leise und heimlich und plötzlich überwältigend, plötzlich reißt sie mich um und der Raum, der dann um mich herum entstanden ist, sieht nichts Gutes in meiner Welt, nur Wolken, und weißt du, wir wollen keine Wolken in unserem Leben, oder willst du etwa Wolken, nein!, willst du nicht!, also komm mit mir nach Alaska.

Die Welt, die ich bisher kannte, hat keinen Raum, in dem man sich entfalten kann, also muss man sich selbst einen Raum schaffen. Das Leben verlangt danach, es ist seine einzige Forderung. In Alaska gibt es Raum. Weit und weiß und leer. Darin könnte sich mein Leben entfalten, es könnte mir all das schenken, das es in meiner Welt bisher nicht gab. Was ist das?, was es in deiner Welt nicht gibt, fragen sie mich, wann immer ich anfing von Alaska zu reden. Ich stottere. Eine schwierige Frage, sage ich, weil weißt du, sie würden es nicht verstehen. Vielleicht ist es die Nichtexistenz von allem, das mich von Alaska schwärmen lässt, wann immer ich anfing, an Alaska zu denken. Ein freier Raum, ein freier, purer, reiner Raum, so weit und weiß und leer.

Meine bisherige Welt ist mit so Vielem gefüllt, beinahe mit Allem, das der Raum ganz klein erscheint, klein und eng und er drückt dich Tag für Tag, Jahr für Jahr gegen seine Wände, hält dich dort fest, sind wir nicht alles Gefangene?, frage ich rhetorisch, und sie schütteln den Kopf. Weißt du, ich glaube ihr Kopfschütteln ist etwas Gutes. Trotzdem rufe ich, Doch!, unser Raum besteht aus Erinnerungen, Erfahrungen und Verpflichtungen, drei schwere schwarze Wolken meiner Welt. Deiner Welt, sagen sie, denn meine Erinnerungen sind schön, sagen sie, schief lächelnd, fast aufmunternd, und ich sage, ja, deswegen versteht ihr auch Alaska nicht.

Sie gehen schlichtweg mit Allem anders um als ich. Ihre Gedankenwelt ist klein und komprimiert und kümmert sich nicht um Bekümmernisse aus der Vergangenheit, um schwere schwarze Wolken der Gegenwart und die Zukunft, in der die wichtigsten Fragen des Lebens liegen, ist für sie etwas, dem sie sich annehmen, anstatt darüber nachzudenken. Weißt du, ich denke das ist etwas Gutes. Weniger Nachdenken trägt Wolken fort. Kann ich auch akzeptieren?, frage ich mich, wann immer ich anfing, an Alaska zu denken. Immerhin ist die Akzeptanz seiner Erinnerungen, Erfahrungen und Verpflichtungen das einfache Leben. Sähe ich das Leben in einem einfachen Licht, gäbe es Alaska für mich nicht. Dann stünde ich dort in der Gruppe, laut lachend und grölend und das tue ich hier und da, aber dann würde ich zufrieden einschlafen, anstatt halb betrunken auf dem Heimweg gegen den Zaun meines Lebens zu treten, weil dies nicht Alaska ist, und Alaska zehn Jahre lang kein Ort war, in dem ich nach Raum für mein Leben suchen konnte, seitdem ich anfing, an Alaska zu denken.

Bis sie in mein Leben trat, war Alaska Tag für Tag ein Virus in meinem Kopf, konnte nicht klar denken, will doch nur dahin, mich entfalten, akzeptieren, mit allem abschließen und neu anfangen. Weißt du, ich denke das ist nichts Gutes. Woanders Akzeptanz zu suchen ist ein Weg, nicht aber ein Ausweg. Schwach, sagen sie, ist der, der sich dem Leben nicht stellt. Ja scheisse!, sage ich, ich versuchs doch, war zehn Jahre hier, seitdem Alaska in meinem Kopf auftauchte. Bin keinen Schritt weiter, es sind die gleichen Wolken über diesem verfickt engen Raum meiner bisherigen Welt. Können wir nicht einfach los und in Alaska leben, frage ich sie, mein Mädchen, das mehr Glück in mein Leben gebracht hat als alles zuvor. Es wäre doch die perfekte Symbiose, ich trage dich mit, das einzig Wichtige, und würde das große und weite und weiße und leere Nichts mit dir zusammen vorfinden.

Das geht nicht, sagt sie, und alles fällt zusammen. Aus dem Gedanken an Alaska wird der Blick zurück auf die Straßen gerichtet, in denen ich mich all die Jahre nicht wohl fühlte. Weißt du, ein klarer Blick ist etwas Gutes, er erkennt und sieht, und erkennt sich selbst an dem Ort, an dem er ist. Weißt du, ich glaube, dies wiederum ist nichts Gutes. Als ich mich erkannte, war Alaska das stärkste Licht in meinen Gedanken, ich wollte fort, nur fort. Alaska nahm mich stärker ein als alles, das ich zuvor in meiner Gedankenwelt je sah. Im gleichen Gedankenzug weiterhin monatelang an der Haltestelle meiner Welt festzusitzen ließ mich in einen Abgrund blicken, und ich flog fort, nach Norwegen. Nur eine Woche, und ich war zurück, und ich war tief bestürzt und wartete noch einmal auf den Zug oder die Bahn oder das Flugzeug, das mich über den Wolken meines Lebens forttragen würde, nicht für eine Woche, für ein Jahr, für immer!, vielleicht, vielleicht. Ich wartete vergebens und lebte eingeengt weiter, sah nichts nur Wolken.

Dann kam sie und ließ Alaska in meinen Gedanken zwar nicht verschwinden, aber kleiner werden, nicht so klein und eng wie meine bisherige Welt, aber kleiner als das große und weite und weiße und leere Nichts. Ich träumte und lebte auf einer Ebene meines Lebens, während vor ihr alles aus Träumen bestand, die mich durch die Wolkendecke nach Alaska trugen. Ich lebte nicht, funktionierte nur als Jemand, der jemand anderes sein wollte, also war ich Niemand.

Vielleicht machst du das Beste draus, sagten sie dann, sie kannten mich und meine Erinnerungen, Erlebnissen und Verpflichtungen, hätten aber nicht im entferntesten daran gedacht, dass all das noch immer eine Rolle für mich spielt, die Rolle des Antagonisten meines Lebens, der Gegner, den es zu besiegen gilt, das Monster. Vielleicht versuchten sie es zu verstehen, vielleicht aber versuchten sie es auch nicht und sahen mich nur in einem Licht, das sie verärgerte, du bist nicht für uns da. Ich kann nicht, flüsterte die schwere Wolke aller Erlebnisse und Erfahrungen, gerade leise genug, das ich nicht gehört werden konnte. Ich wollte so sehr gehört werden, konnte es aber nicht, und deshalb flüsterte ich und hielt den Raum um mich herum so klein und eng wie möglich. Niemand könnte es verstehen, sprach das Eigenleben meiner Gedanken und ich glaubte ihnen. Sie diktierten den Weg meiner Träume, und dieser Weg war Alaska.

Also meine Liebe, ich denke, du willst mich hier haben, in unserer bisherigen Welt, das kann ich verstehen. Mehr noch, da ich nun in Alaska war und mit dem Realisieren eines Traumes der Traum in sich zusammengefallen ist. Die Nordlichter sind nicht alles, habe ich mir selbst am nächsten Morgen nach der magischen Nacht gesagt, während ich Bilder von ihr und uns durchschaute. Vor ihr und Alaska, da war Alaska alles. Das ist nichts Gutes, immerhin konnte ich weder den Alltag akzeptieren, noch in ihm aufgehen. Ein kleiner, enger, beschissener Raum. Ob der Raum in meiner bisherigen Welt nun durch eine Erkenntnis größer geworden ist? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, ich war in Alaska. Vor Alaska, da war Alaska in mir und wollte raus. Nun ließ ich Alaska raus und verschmolz mit der Unendlichkeit Alaskas. Ich fand das Nichts vor, das große und weite und weiße und leere Nichts. Die Frage auf die Antwort nun ist, ob Alaskas Nichts mir gezeigt hat, ob das Nichts erstrebenswert ist und ein Raum zum Leben, zum Entfalten sein kann, nicht für eine Woche, für immer! Ich weiß es nicht. Eine Erkenntnis ist zu wenig, um die große Frage meines Lebens zu beantworten. Nur eines weiß ich, und das ist und war immer: Warum Alaska.
„Unendliche Welten sind viel zu unendlich, um glücklich in ihnen zu sein.“ die ganze metapher des textes schlummert auch in mir. alaska ist ein traum, aber nicht für immer, die frage nach dem für immer lautet für mich kanada – so weit weg ist das ja nicht. aber ich bin noch nicht bereit für kanada. irgendwann werde ich es sein und dann finde ich dort auch hoffentlich meine antwort. ich liebe diesen text. danke dafür, jim. und diese bilder machen mich sprachlos.
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Mich berührt es sehr, dass ich dich mit auch diesem Text in deinem tiefen Inneren erreiche. Danke für deine Antwort hier drauf, es ist eines meiner ehrlichsten Texte und soll zeigen, wie paradox doch viele Gedanken im Kopf sind, und wie wenig ich mich dagegen wehren kann.. daher Alaska, auch ich habe nach Antworten gesucht, und bin mir nicht sicher, ob ich welche gefunden habe… ich wünsche dir, dass du irgendwann bereit bist dafür, und deine Antworten findest, liebe Paleica! Danke für deine Worte.
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danke lieber jim ❤
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Deine Worte sind mal wieder wunderschön und zum Nachdenken. Genau wie die Bilder. Einfach unglaublich schön.
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Vielen lieben Dank, Jasmin. Ich freue mich sehr dass dir mein Text und meine Bilder gefallen!
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Arg viel fällt mir nicht ein. Ich kann mir aber sowas von gut vorstellen wie es in Dir aussieht… Und ich freu mich darüber und für Dich und mit Dir! GRANDIOS!! Lebe es!!
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Es sieht irgendwie alles ganz klar und doch ganz verschwommen aus… also auch nach Alaska irgendwie alles wie immer, nicht wahr?:)
Danke Markus!
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Schon wieder zurück???
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Es waren leider nur 10 Tage… und mir scheint, dass ich keine großen Antworten gefunden habe -.-
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Aber Du hast es trotzdem versucht und erlebt. Das zählt!!
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Danke dir, das tut es. Vielleicht brauche ich Alaska noch einmal, vielleicht etwas länger… 🙂
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Schon wegen der fantastischen Fotos lohnt es sich deinen Beitrag zu lesen, aber vor allem deine Gedanken haben es mir angetan. So ist also Alasko doch nicht ALLES, ja vielleicht NICHTS? Ein Traum, den du nun doch nicht mehr so vehement verfolgst? Weißt du Jim, ich bin ja nun schon alt – jedenfalls im Verhältnis zu dir – und auch wir hatten große, viele Träume. Wir wollten damals nach Südamerika – eine Farm bewirtschaften – hatten die besten Voraussetzungen (Studium Agrarwissenschaften usw.) und doch ist nichts draus geworden, obwohl sogar noch ein Freund mit ausgewandert wäre. Unsere „Träume“ haben wir uns hier erfüllt im engen Deutschland mit vielen Ausreißern (Reisen) in andere Länder. Manchmal sind Träume viel zu groß, zu unendlich, um sie verwirklichen zu können. Aber das kann sich ändern, wird sich ändern, wenn du es nur willst. Viel Glück Jim! Herzlichst, Sigrid
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Es ist schön zu wissen, dass du meine Worte und diesen Beitrag genauso aufgenommen hast, wie ich ihn geschrieben habe, vielleicht ist es Alles, vielleicht aber auch Nichts, du kannst mich verstehen, und das bedeutet mir etwas! Und zudem freue ich mich darüber zu lesen, dass du & ihr eure Träume auch in dem Land erfüllen konntet, in dem wir leben…
Danke für deine Worte, Sigrid!
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Wahnsinnig tolle Worte und mega Bilder, Jim!
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Danke dir Oliver, das bedeutet mir viel!!
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Hallo Jim,
Angelockt von deinen tollen Fotos bin ich doch hängen geblieben in deinen Worten und Gedanken. Spannend zu lesen, welche „Metamorphose“ du durchlaufen hast – im wahrsten Sinne des Wortes. Viele Grüße, F.
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Danke für deine schönen Worte, „Metamorphose“ trifft es ziemlich gut! 🙂
Liebe Grüße,
Jim
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