Ich ziehe nie etwas durch. Außer das Abi, das habe ich durchgezogen, nachdem ich in der elften Klasse abspringen wollte. Hatte kein Bock mehr und alles war scheiße. Hab aber leider keine Ausbildungsstelle bekommen. Wie auch, wenn man sich lediglich bei den zehn größten Medienunternehmen Deutschlands bewirbt. Na gut, mach ich halt doch mein Abi. Nach dem Abi kam das Duale Studium, und nach kurzer Zeit dachte ich, nie und nimmer zieh ich das durch. Hatte kein Bock mehr und alles war scheiße. Hab dann aber doch durchgezogen bis zum Bachelor, immerhin war das private Studium teuer, und irgendwie gab es irgendwelche Erwartungen zu erfüllen. Jetzt wollte ich nach Alaska für eine Weile, oder Nicaragua, oder Tibet. Hab aber dann lieber das Jobangebot angenommen auf der Königsallee. Wegen der Wohnung, und wegen dem Auto. Na klar.
Eigentlich wollte ich ja Filmer werden. Ein Regisseur, oder so. Hab ich nicht durchgezogen. War in Kalifornien für eine Weile, hab gefilmt, hab coole Sachen gemacht. Kam zurück und sagte mir, das ist nur Hobby, weil andere viel besser im Filmen waren als ich. Dann, kurze Zeit nachdem das Duale Studium losging in der Werbebranche, wollte ich Autor werden. Hab einen Blog gestartet über meine Reisen, das war toll, zum ersten Mal hatte ich eine eigene Stimme und man hörte mir zu, und ich habe ein paar Bücher gelesen, das hat mich daran erinnert, wie gerne ich doch selber schreibe. Eigentlich wollte ich Autor werden. Hatte aber noch zwei Jahre Studium vor mir. Also durchziehen, das Falsche halt.
Eigentlich wollte ich auf Instagram groß werden. Hab drei Monate lang jeden Tag meine schönsten Reisebilder gepostet. Hab gesehen, dass andere besser waren, das hat mir den Mut geraubt, und ey, warum dauert das eigentlich so lange, bis man bekannt wird? Dann habe ich ein neues Instagram-Projekt gestartet, und ich wiederholte dasselbe mit melancholisch-gestellten Autorenbildern. Wieder nix geworden. Dann noch ein neues Projekt, wieder Reisebilder, die waren klasse!, aber nichts da, keine Bekanntheit, denn für Bekanntheit braucht man einen langen Atem. Den habe ich wohl nicht. Und nun wieder ein neues Projekt, dieses Mal sollte ich es richtig machen, hab bisher alles da reingehauen, neben der Bachelorarbeit und was es sonst noch zu erledigen gibt. Dieses Mal habe ich Geduld, dieses Mal weiß ich auch nach drei Monaten noch, dass es das Richtige ist und ich damit für die nächsten anderthalb Jahre weitermache.
Eigentlich war ich mir dieser Sache sicher. Und doch sitze ich jetzt wieder hier und stelle alles in Frage. Erinnere mich an die Dinge, die ich durchgezogen habe, und an die Dinge, die ich nicht durchgezogen habe. Welche Dinge waren die Richtigen, welche die Falschen? So wie es kommt ist es schon richtig, hört man immer wieder, und jedes Mal denke ich mir, so wie es kommt, soll es irgendwie nicht sein. Was wäre wenn, diese drei Worte halten mein Unterbewusstsein unter Kontrolle. Sie diktieren, was ich denke, was ich fühle, wo ich mich sehe und was ich machen möchte, und malen es in schwarz-weißen Farben. Die Farben der Realität lassen sie dabei außer Reichweite, beinahe steht zwischen mir und der echten Welt da draußen eine Wand. Wenn ich sie durchbreche, bin ich dann ich? Oder nur der, der in der echten Welt leben muss, weil das „was wäre wenn“ nur ein immer wiederkehrender Gedanke ist?
Eigentlich sagt mir dieser Gedanke, dass ich nichts Richtiges durchgezogen habe. Dieser Gedanke hat viele Feinde, und viele oder eigentlich alle dieser Feinde sind reale Menschen. Sie, die mir sagen, das hat schon seine Richtigkeit, du hast das Richtige gemacht, und hey, das, was du als nächstes tust, ja, du machst das Richtige. Sie räuspern sich und verschlucken ihr wahres Ich, das vorwurfsvoll einen Wunsch darlegt, eine Präferenz, die da beginnt mit den Worten „ich würde dir empfehlen“ oder „mach das so, alles andere ist quatsch“.
Eigentlich sagen Menschen andere Dinge. Insbesondere solche Menschen, die dich noch nicht so lange kennen, oder eine etwas distanziertere Beziehung zu dir pflegen. Ihre Worte beginnen mit den Worten „ich glaube an dich“ oder „du wirst deinen Weg schon gehen“, und sie meinen es auch so. Sie sagen das aus Höflichkeit, und teilweise auch, weil sie es wirklich so meinen. Mit nahestehenden Menschen ist es genauso. Nur dass man sich bei ihnen fragt, was sie wirklich darüber denken.
Ich weiß nicht wohin, heißt dieser Blogeintrag. Und eigentlich könnte er genauso lauten, ich weiß wohin, ziehe es aber nicht durch. So wie ich nie etwas durchgezogen habe, das mir in meiner Gedankenwelt dauerhaft eine schöne Welt herbeigezaubert hat. Eine optimale Welt. Vielleicht ist das Optimale etwas Realitätsfernes, und ich muss lernen, darin etwas Unwirkliches zu sehen, um nicht bei jedem Gedanken aufs Neue in den Abgrund meiner tiefsten inneren Träume zu tapsen.
Ich weiß wohin. Dieser Weg aber geht in mir, und dort, wo etwas entsteht, geschieht nichts ohne Grund. Vielleicht muss ich lernen, mit diesen Gründen umgehen zu können. Vielleicht aber weiß ich doch nicht wohin.

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