Gefühle unter Sternen

Nach der Stunde, in der das Licht seinem Ende zuging, sah ich, auf die plötzlich schwarze Veranda tretend, kleine weiße Kreise am Himmel. Zögernd gewöhnten sich meine Augen an die kompakte Dunkelheit, die sich wie eine zwar dichte, dennoch konsistenzlose Materie über die Oberfläche der Erde gelegt hat, rasend schnell, als hätte sie es kaum abwarten können, dem Leben ein neues Gemälde zu schenken. Zugleich war es ungewohnt, innerhalb weniger Minuten vom Licht ins Dunkle getaucht zu werden, ist der Sonnenuntergang doch eigentlich ein gediegenes Phänomen, das sich in der mir bekannten Stadt, in der ich aufgewachsen war, teilweise über eine Stunde hinauszögert. In Pemehue, einem Tal in der Abgeschiedenheit Chiles, durch das eine schmale Schotterpiste führt, war es um die Nacht geschehen, als ich in der sich anbahnenden Dämmerung vom Ecktisch aufstand, zur Küche lief, mir einen neuen Kaffee machte, um meinem Geiste neue Energie zu geben, zum Aufschreiben des Gefühls, wie es ist, in etwas Selbstgebautem , das wie ein Fremdkörper in die Wildnis gestanzt wurde, ein paar an Gemütlichkeit kaum zu überbietende Wochen zu verbringen, und anschließend zurück zum Fenster bewegte, an dessen Scheiben nun ein schwarzer Film klebte. Ich trat hinaus und schaute nach oben.

Von Überwältigung ergriffen, starrte ich zum Sternenhimmel. Keine meiner Erinnerungen hat die Sterne jemals so klar und leuchtend gesehen, weshalb mich ein ungläubiger Schauer durchzog. In klarsten Konturen sah ich die Milchstraße. Seine Schatten und seine Lichter, seine Milliarden Sterne, stellenweise zu Haufen gebündelt, wo ein besonders helles Leuchten herrschte. Dazwischen für sich stehende Planeten, größer und heller als alle anderen. Sie besaßen ein Strahlen, das meine Vorstellungskraft überstieg, und um ehrlich zu sein, überstieg der gesamte Anblick meine Vorstellungskraft. Ich glaube, der Blick nach oben, in einer kristallenen, wolkenfreien und in der Atmosphäre von jeglicher Verschmutzung befreiten Nacht, stellt für uns Menschen das Unvorstellbarste dar, ein Gemälde, zu dem kein Gedanke vordringen kann, schlicht weil die Kapazität des selbst vermögendsten Verstandes nicht ansatzweise an die Größe, das Volumen und die Masse der sich weit um unserem Planeten herum befindenden Welten heranreicht. Auch keine Erfindung des Menschen, keine Kamera und kein Teleskop, sind imstande, die Gesamtheit des Außerirdischen zu erfassen. Weshalb es an diesem Abend für mich keine andere Konsequenz gab, als aufzugeben, Tränen freien Lauf lassend, und mich in den Sternen zu verlieren. Diese Ergriffenheit sollte belohnt werden, eine Sternschnuppe flog vorbei, und in dem Bruchteil dieses Augenblickes entstand der Wunsch in mir, den ich als sehnlichsten aller jemals erdachten Wünsche wahrnahm, dass ich eines Tages in die Welt der Sterne eintreten könne. Ja, ich dachte an die Begierde, weit über der Erde einen Zugang zum Verständnis über die unzähligen, die Vorstellungen aller Menschen übersteigenden Arten dieser kreisrunden Leuchtioden auf dem Himmelsgemälde zu erhalten.

21_Pemehue_Sterne Klein.jpg
(c) Jim Kopf

7 Kommentare

  1. Wow Jim, mit wenigen Worten wird dein Gefühl total nachvollziehbar.
    Und die Überwältigung berührt. Mich zumindest und mir würde es ebenso gehen. Wie klein wir sind…
    Wie du es allerdings geschafft hast, in diesen Wahnsinn da oben zu schauen, überwältigt sein, eine Sternschnuppe zu sehen, dir dazu was zu wünschen und GLEICHZEITIG so ein tooles Foto davon zu machen, ist mir ein Rätsel 😀
    Viel Spaß noch!!! LIebe GRüße, Andrea

    Gefällt 1 Person

    1. wie schön zu wissen, dass ich das Gefühl vermitteln konnte.. danke!
      hehe, das gute bei Langzeitaufnahmen ist, das man in der Zwischenzeit tatsächlich genießen kann 🙂
      Dankeschön & liebe Grüße aus Kolumbien!

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