Damals und heute

Jetzt ist einer dieser Abende, an denen ich auf der Couch am Laptop sitze und schreiben muss. Eine Kerze brennt, sonst ist es dunkel. Klaviermusik über die Lautsprecher, The Front von Conor Walsh. Das Panoramafenster mit Ausblick auf die Gebäude auf der anderen Straßenseite. Ich bin in Amsterdam, in der Stadt, in der ich seit zwei Jahren arbeite. Die meiste Zeit bin ich hier allein: gehe allein ins Museum, allein ins Kino, allein ins Café. Allein auf dem Fahrrad zur Arbeit, allein im Büro, allein auf dem Fahrrad zurück ins Apartment. Allein beim Joggen, allein beim Yoga, allein beim Krafttraining. Ich mag das Alleinsein. Und es ist nicht so, dass ich von Zeit zu Zeit auch mal etwas mit neuen Freunden in dieser Stadt unternehme. Zudem fahre ich jede Woche für ein paar Tage in die Heimat, immerhin ist dort meine Partnerin, meine Freunde, Familie. Und doch schwingt eine Art Einsamkeit in diesen Zeiten mit.

Was ist das für eine Einsamkeit?

Bevor ich anfing zu schreiben, vor acht, neun Jahren, empfand ich meine Gedankenwelt als Zone, in der ich allein und einsam war. Eine fundamentale Einsamkeit: niemand verstand, was in mir vorging, weil ich nicht darüber redete. Und niemand hatte Zugang dazu, weil ich noch nicht darüber schrieb. Doch dann fing ich mit diesem Blog hier an, der nunmehr wie ein Relikt vergangener Zeiten wirkt, und schrieb auf, was mich beschäftigte. Schnell war klar, dass ich ein Buch schreiben wollte; es dauerte sieben Jahren, bevor ich eins beendete und veröffentlichte. Ich erinnere mich, dass ich Angst davor hatte, ein Buch zu veröffentlichen, wenn ich „älter“ bin. Dass ich Bücher veröffentliche als Mensch, der nicht mehr der ist, wie der, der ich 2015, 2016, 2017 war. Und genau das traf zu, ich veröffentlichte Bücher als Mensch, der nur noch wenig mit diesem jungen Studenten von damals gemeinsam hatte. Ich hatte nun einen gut bezahlten Bürojob und ging diesem nach; das Schreiben wurde zu einem Hobby degradiert. Es hat nichts existenzielles mehr, das Schreiben, so wie es damals war; damals dachte ich, ohne das Schreiben geht es nicht. Und ich dachte daran, wie es sein würde, wenn ich das Schreiben mit aller Vehemenz verfolgen würde, wie einst das Fußballspielen, als ich noch hoffte, ich würde es bis ganz nach oben schaffen. 

Was war in diesen Jahren? Es formten sich Leidenschaften und Träume. Das Schreiben, allem voran. Aber auch das Filmen und Schneiden und Fotografieren, am liebsten dort draußen, in der weiten Welt. Ich ging auf in der Entstehung von literarischen und audiovisuellem Material, das sich wie eine Heimat anfühlte: ich empfand es sowohl als Notwendigkeit – als Ventil, um mich der Welt zu öffnen – und als Produkt eines unbeschreiblichen Dranges, kreativ und schöpferisch zu sein.

Dass ich nun anders bin als damals, allem voran mental gesünder, darin liegt viel Gutes; aber eben auch eine Art Verlust. Es ist der Verlust jener Idee, die sich damals formte: einer Idee von der Zukunft. Die dann doch ganz anders verlief. Allerdings darf ich nicht von der Nostalgie hereingelegt werden; Nostalgie fühlt sich gut an, weil es die Vergangenheit romantisiert. Und wäre ich wieder da, 2015, 2016, wäre es mir unmöglich, meinen Alltag zu romantisieren. Daher versuche ich es mit Dankbarkeit, dafür, wo ich jetzt stehe, oder eher sitze: in einem Apartment in Amsterdam mit Panoramafenster.

Aber da ist diese leichte Melancholie: ich verbrachte Jahre damit, mich in emotionalen und alltäglichen Kämpfen künstlerisch zu formen, und mir einen Lebensweg zurechtzulegen, der das Künstlerische ausdrücken kann, im Einklang mit der Natur, von der ich seit jeher wusste, dass sie die stärkste Gewalt auf meine Ausdrucksformen ausüben konnte: war ich da draußen, waren meine Fotos schöner, meine Texte tiefer, meine Videos ergreifender.

Und jetzt verbringe ich die meiste Zeit in Innenräumen: in Büros, Cafés, Hotels, Apartments. In der Stadt bin ich, als Arbeitnehmer eines Technologieunternehmens, und mache was mit Zahlen und Daten. Gehe einem immergleichen Alltagsablauf nach. Und tue Dinge, die fast schon unerträglich normal für einen Dreißigjährigen sind. Liegt darin nicht etwas Einsamkeit? Schotte ich mich nicht dadurch von dem ab, der ich vor Jahren werden wollte? Eine Art Verrat? Bin ich nun auf einem besseren Weg, der sich nur nicht immer besser anfühlt, weil ich den anderen Weg nicht zu Ende gegangen bin und demnach nicht weiß, wie sich die Dinge hätten entwickeln können?

Wenn ich Montag morgen mit dem Fahrrad zur Arbeit fahre, an den schönen Grachten im morgendlichen Sonnenlicht entlang, und dann einen Cappuccino mit Hafermilch schlürfe, während ich meine E-Mails checke, wird sich die Welt wahrscheinlich wieder anders anfühlen.

Doch heute Abend, an dem ich schreibe, im fast kitschigen Kerzenlicht mit Klaviermusik, sitzt neben mir der junge Student von damals, und schaut mich skeptisch an.

2 Kommentare

  1. So ein schöner Text. Besonders die letzte Zeile liebe ich sehr.❤️ Es muss sich toll anfühlen etwas erschaffen zu haben. An seinen Träumen festzuhalten. 🤗 Du machst das toll. Wirst du weiter schreiben und auch veröffentlichen? Alles Liebe für dich in 2024. 🤗

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    1. Ah, ich habe gar nicht mehr damit gerechnet, Kommentare hier zu meinen Texten zu erhalten. Schön, dass du immer noch meine Texte liest, das bedeutet mir viel Netti! So schön zu wissen, dass dir der Text gefallen hat – ich werde weiter schreiben! 🙂

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